Ffm Uni Campus West - Dez. 2012
Hintergrundbild: Collage: Bernd Rausch


Prof. Dr. Werner Konitzer (Fritz Bauer Institut) im Gespräch mit Joachim Brenner (Förderverein Roma) anläßlich der Eröffnung der Ausstellung Frankfurt-Auschwitz am 4.12.2012 im Fqyeur der Uni Frankfurt West (ehemals IG Farben), Bild: Bernd Rausch

Ein Beitrag von Prof. Dr. Werner Konitzer,. 3.12.2012

Sehr geehrte Damen und Herren,

in ihrem Buch "moral repair" ("moralische Wiedergutmachung") fragt Margret Urban Walker danach, was es heißt, auf historisches Unrecht, die Zufügung großen Leides, auf politische Verbrechen größeren Ausmaßes, die Individuen und Kollektiven zugefügt wurden, angemessen - oder zumindest annähernd angemessen - zu reagieren. Während die Fragestellung, die gewöhnlich die Moralphilosophie leitet: Was soll ich tun? gewissermaßen aus der konkreten historischen Situation herausführe, führe die Frage nach moral repair in die jeweils gegebene historische Situation unmittelbar hinein und nehme die Form an: Was muss ich, was müssen wir jetzt tun?

Bei ihrer Suche nach solchen Kriterien orientiert sich Urban Walker an der Perspektive der Opfer. Diese, so führt sie aus, müssen ihre Erfahrungen zum Ausdruck bringen können und für ihre Erzählungen Gehör finden. Sie müssen die Gewissheit erlangen können, dass die umgebende Gesellschaft ihre Erfahrung anerkennt, das heißt, dass das, was ihnen geschehen ist, als Tatsache im allgemeinen Bewusstsein anerkannt ist. Und sie müssen die Sicherheit gewinnen können, dass die sie umgebende Gesellschaft, die Mehrzahl oder zumindest die öffentliche Meinung, das Geschehene als Verbrechen ansieht und sich der Verletzung und des Unrechts dieses Verhaltens bewusst geworden ist. Sind diese drei elementaren Verhaltensformen nicht gegeben, so entsteht eine zweite Wunde, geschieht ein zweites, neues Unrecht. "To fail to confirm the victim's sense of wrong is itself another wrong." Wenn man das Gefühl der Opfer, dass ihnen Unrecht geschehen ist, nicht bestärkt, geschieht (damit) ein weiteres Unrecht. Das moralisch grundlegende Vertrauen, dass es anerkannte, geteilte Regeln gibt, von denen wir uns leiten lassen, und auf die wir zählen, und die uns schützen, kann sich nicht wieder herstellen.

Wenn man die Erinnerungsgeschichte des Völkermords an Sinti und Roma betrachtet, wird deutlich, dass diese Mindestbedingungen für die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung nicht oder, wenn überhaupt, viel zu spät erfüllt worden sind. In der Ausstellung, die Sie im Foyer sehen können, und die auf einer Tafel die Lebensgeschichte von Frau Weiss aus Frankfurt, die die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen überstand und dann hier in Frankfurt lebte dokumentiert, wird das deutlich. Wir erfahren nicht nur, wie lange es gedauert hat, bis sie überhaupt für die Qualen, die sie im KZ erlitten hat, und für die Zwangsarbeit, die sie leisten musste, eine Entschädigung erhielt, sondern auch, dass die Krankenkasse, der sie angehörte, noch nach der Jahrtausendwende nicht bereit war, für eine Therapie aufzukommen.

In diesem Herbst wurde das erste Mal in breiter Form, und von vielen politischen Initiativen getragen, an die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen erinnert. Wer sich mit der Geschichte dieser Pogrome beschäftigt hat, weiß, dass ihnen eine breite Kampagne gegen Asylbewerber, vor allem aber gegen Sinti und Roma, die nach dem Mauerfall im Zuge der Konflikte im auseinander fallenden Jugoslawien zunehmend verfolgt wurden und nach Deutschland kamen, voranging. Mir ist noch eine Notiz aus dem "Spiegel" in Erinnerung, in der von einer Gemeinde in der Nähe von Essen - nicht im Osten, sondern im Westen Deutschlands - berichtet wurde, die Geld gesammelt hatte, um Brandstifter zu bezahlen für die In-Brand-Setzung eines Asylbewerberheims, im dem vor allem Sinti und Roma wohnten. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es zu dieser Zeit in der Gegenbewegung gegen diese Kampagne zwar allgemeine, mahnende und erinnernde Verweise auf den nationalsozialistischen Fremdenhass, aber fast nie direkte Erinnerungen an den Völkermord an Sinti und Roma in Auschwitz.

Auch wenn die Anerkennung dessen, was geschehen ist, und der Verpflichtungen, die daraus resultieren, auf politischer Ebene inzwischen weiter fortgeschritten sind, wie insbesondere die Einweihung des Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma am 24.10. in Berlin dokumentiert, entspricht dem offensichtlich kaum ein breiteres gesellschaftliches Bewusstsein; Umfragen zeigen, dass antiziganistische Einstellungen immer noch bei über 60 % der Bevölkerung vorhanden sind.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal auf das dritte Kriterium aufmerksam machen, das Margret Urban Walker angesprochen hat: Dass, damit so etwas wie "moral repair" geschehen kann, nicht nur anerkannt werden muss, dass das Verbrechen geschehen ist, sondern auch anerkannt werden muss - von einem gesellschaftlichen Umfeld - dass es sich bei dem, was da geschehen ist, tatsächlich um ein Verbrechen handelte. In der Ausstellung kann man auch die Biographien einiger -sehr weniger - Täter nachlesen, so die von Eva Justin. Wir erfahren, dass das Verfahren gegen sie eingestellt wurde, dass es damals also kaum eine rechtliche Feststellung des Verbrecherischen gegeben hat. Heute allerdings würde das rechtliche Verfahren wohl anders ausgehen. Man kann nun aber zwischen einer rechtlichen und einer moralischen Einstufung einer Tat als eines Verbrechens unterscheiden. Bei der moralischen Anerkennung dessen, dass eine Handlung als verbrecherisch gilt, wird nicht nur die Tat und ihre Rechtswidrigkeit festgestellt, sondern darüber hinaus wird nach den Motiven gefragt, der Einstellung, die die Tat motivierte und mit hervorbrachte. In Bezug auf den Holocaust, den Völkermord an den europäischen Juden, war und ist ein wesentlicher Schritt, dass die Bedeutung des Antisemitismus - besser, der verschiedenen Antisemitismen, die das gesellschaftliche Bewusstsein prägten und zum Teil noch prägen, von der historischen Forschung, aber auch vom allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein wahrgenommen wurde. Wir - das heißt, ein größerer Teil der Gesellschaft - hat in dieser Hinsicht immerhin zu verstehen begonnen, wie die projektiven Fremdbilder des Antisemitismus mit Selbstbildern und normativen Vorstellungen einer "reinen" Gesellschaft verbunden waren. Dagegen weist die Tatsache, dass Hassgefühle und Verfolgungsabsichten gegen Sinti und Roma bis heute ungebrochen geäußert werden können, ohne sich von einem Bewusstsein der an den Sinti und Roma begangenen Verbrechen auch nur stören zu lassen, darauf hin, dass die Motive, die zu dem Völkermord führten, noch nahezu ungebrochen tradiert zu werden scheinen. Hier fehlt es nicht nur an gesellschaftlicher Aufklärung, sondern auch an weiterreichender Forschung über die Umstände und Motive des Völkermords selbst. Ich hoffe und glaube, dass diese Ausstellung ein sehr guter Schritt ist, hier weitere Anstöße zu geben.

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