Ausgang


Bild: Bernd Rausch, 27.1.2012, Braubachstraße

27.1.12
Pressemitteilung des Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V
.

Haus des Buches: Gedenktafel wieder an ihrem Platz in der Braubachstraße

Am „Haus des Buches“ in der Braubachstraße wurde heute die Mahn- und Gedenktafel wieder angebracht, die an die Verbrechen gegen Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert.

Damals war in dem Gebäude mit dem Stadtgesundheitsamt auch die „Abteilung für Erb- und Rassenpflege“ untergebracht. „Es ist der richtige Ort, um darauf hinzuweisen, was nie mehr geschehen und nicht in Vergessenheit geraten darf“, sagte Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. „Der Börsenverein ist sich als Vertreter der gesamten Buchbranche in Deutschland seiner besonderen Verantwortung bewusst.“ An über 20.000 deutschen Sinti und Roma wurden im Nationalsozialismus „rassenbiologische“ Untersuchungen und Zwangssterilisationen durchgeführt.

„Die Tafel hängt wieder da, wo sie hingehört“, stellte Joachim Brenner, Geschäftsleiter des Fördervereins Roma fest. „In Zeiten, in denen historische Verantwortung immer weniger Gehör findet, ist sie ein Zeichen gegen Vergessen und gegen Verleugnen.“ Während der Baumaßnahmen in der Braubachstraße war die Tafel in der Geschäftsstelle des Fördervereins Roma ausgestellt. Heute wurde sie anlässlich des 67. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz wieder am Eingang des ehemaligen Gesundheitsamtes angebracht.

http://www.boersenverein.de/de/portal/index.html?meldung_id=489785

27.1.2012 - Rede zur Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, , Mahntafel, ehemals Stadtgesundheitsamt Braubachstraße, jetzt Geschäftsstelle des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

Von Joachim Brenner, Förderverein Roma e.V.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Hermann Langbein, ein Auschwitz-Überlebender, berichtete, dass es im Vernichtungslager Auschwitz Birkenau nichts Elenderes gab als den Zigeunerblock. Viele bezeichnen Auschwitz als Hölle, weil ihnen die Worte zur Beschreibung fehlen. Allein in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden knapp 3000 Roma und Sinti aus dieser Baracke vergast. Die unvergleichbare industrielle Vernichtung von Roma, Sinti und Juden war den Nazis so wichtig, dass sie selbst Versorgungszüge für die Kriegsfront im Osten ausfallen ließen und stattdessen für die Deportation ins Gas einsetzten.


Bild: Bernd Rausch, 27.1.2012, Braubachstraße

Über eine halbe Million Roma und Sinti wurden Opfer von Sonderkommandos, von medizinischen Experimenten, von unmenschlichen Arbeitsbedingungen, sie wurden Opfer der fabrikmäßig organisierten perfekten Mordmaschinerie.
Am 27.1.1945 wurde Auschwitz befreit. Den sowjetischen Truppen bot sich ein unfassbares Bild.
Eine überlebende Romni berichtet „Alles, was ich damals erlebt habe, kann ich nicht vergessen, bis auf den heutigen Tag. Regelmäßig habe ich nachts Alpträume, dann träume ich von all dem Schrecklichen, das ich in Auschwitz und anderswo erlebt habe, ich wache dann mitten in der Nacht aus meinen Träumen auf und zittere am ganzen Körper. Die Angstträume kehren immer wieder zurück, sie sind ein Teil von mir geworden, den ich nicht mehr loswerde.“
Dieses Gefühl bewegt viele Roma und Sinti und es vereinigt sich mit der Erfahrung auch nach Auschwitz im Land der Täter Verhaltensweisen zu begegnen, deren Spektrum vom ignoranten Leugnen, über die intelligente Verdrehung und Instrumentalisierung bis hin zur Umkehrung der Schuld reicht. Die Befreiung von Auschwitz, der Sieg über die Nazis führte nicht zur rigorosen und konsequenten Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wurde 1959 vom Bundesgerichtshof die Rechtsgültigkeit abgesprochen. Die Fairness eines rechtsstaatlichen Verfahrens sei nicht gewährleistet gewesen. Wurden die Rechte der über eine Million ermordeten Menschen in Auschwitz bei diesem Urteil berücksichtigt? Erst Anfang der 60er Jahre fand der viel beachtete Auschwitz-Prozess in Frankfurt statt; über 15 Jahre nach der Vernichtung.
Vor zwölf Jahren wurde in der Braubachstraße eine Tafel aus privaten Mitteln und nur durch massive Öffentlichkeitsarbeit der Roma-Union, des Förderverein Roma und etlicher Privatpersonen angebracht. Sie wurde gegen die Mehrheit im Römer, gegen Proteste aus dem Ortsbeirat und dem Institut für Stadtgeschichte durchgesetzt. Die Tafel erinnert an die ermordeten Roma und Sinti und benennt, dass die beiden für die Erfassung und Deportation maßgeblich verantwortlichen NS-Rasseforscher Ritter und Justin nach 1945 nicht etwa strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sind, sondern im gehobenen Dienste der Stadt Frankfurt standen. Die Tafel wurde vorletztes Jahr nach dem Auzug des Stadtgesundheitsamtes während den Umbauarbeiten ohne Information des Förderverein Roma und des neuen Eigentümers, dem Börsenverein des deutschen Buchhandels, vom Institut für Stadtgeschichte entfernt. Nach Protesten konnte sie sichergestellt werden und lag im Schaufenster der Geschäftsstelle des Förderverein Roma.
Weitere Orte des Erinnerns, der Mahnung an Verantwortung fehlen. Ich meine damit, dass alleine die recht spät errichteten Gedenkplatten auf dem Hauptfriedhof, in der Krupp- und Dieselstrasse und am Stadtgesundheitsamt nicht ausreichen. Sie schließen auch nicht, wie der frühere Dezernent Nordhoff formulierte, eine Lücke. Im Gegenteil, gerade jetzt ist es notwendiger denn je, daran zu erinnern, welche Rolle NS Bürgermeister Krebs und der Polizeipräsident Beckerle bei der Verfolgung von Roma und Sinti hatten. Es soll nicht verschwiegen werden, dass KZ-Arzt Mengele und einer der Haupttheoretiker der NS-Rassenideologie, Otmar von Verschuer, an der Frankfurter Uni tätig waren. Hinweise über die Machenschaften während der NS-Zeit des Erbgesundheitsgerichtes und die Informationen, aus welchen Schulen Roma-Kinder entfernt wurden, stehen offen.
Und schließlich bleibt die gemeinsame Forderung der Roma-Union, des Förderverein Roma und des hessischen Landesverbandes der deutschen Sinti und Roma, ein zentrales Mahnmal am IG-Farben-Haus, der jetzigen Universität, anzubringen. Dort, wo sowohl der Massenmord durch Zyklon-B geplant wurde als auch die Vernichtung durch Arbeit. Auschwitz Monowitz, der Ort der Buna-Werke des IG-Farben-Konzern, war eine einzige Sklavenstätte. Das Unternehmen nutzte die Menschen bis zum Letzten aus. Wer nicht mehr konnte kam ins Gas. Auch daran verdienten die IG-Farben, ohne dass bis heute das milliardenschwere Nachfolgeunternehmen „IG-Farben in Auflösung“ einen nennenswerten Beitrag zur Entschädigung der Opfer geleistet hätte.

Sehr geehrte Damen und Herren. Auschwitz ist der größte Friedhof für die Roma und Sinti. Jede der Familien beklagt Menschen, die im Gas geblieben sind. Das Gedenken an Auschwitz heißt, sich zur Wehr zu setzen, wenn erneut Rassismus und - wie die aktuelle Dokumentation des Innenministeriums beweist - Antisemitismus in Wort und Tat zum „guten Ton“ gehören. Er ist Teil der Realität aus der sich letztendlich die zehn Morde des Neonazitrios rekrutieren, allerdings auch die über 150 Morde in den letzten 20 Jahre, die aus der gleichen Gesinnungslage verübt wurden. Statt die Täter zu verfolgen, wurde seitens der Behörden weggeschaut und begünstigt. Auch diese Verhaltensweise ist Teil eines gesellschaftlichen Klimas, das mehr denn je ausgrenzt.

Nicht zuletzt Sinti, Roma und Roma-Flüchtlinge, von Armut, Diskriminierung und Verfolgung insbesondere betroffen, sind europaweit Ziel von Marginalisierungen. Asylsuchende werden zurückgeschickt, selbst Grüne Politiker versagen Kosovo Roma den Verbleib, EU-Bürgern wird der rechtsmäßige Aufenthalt verweigert oder aufgrund von Obdachlosigkeit und der Drohung des Kindesentzugs verunmöglicht.

Die generelle gesellschaftliche Stimmung gegenüber Roma und Sinti, wie gegenüber Juden, wird offen aggressiver. Auch die Absicht des deutschen Städtetages, die Gräber von ehemaligen KZ-Opfern aus Kostengründen einzuebnen, statt sie zu Gedenkorten umzugestalten, ist besorgniserregend. Historische Verantwortung findet immer weniger Gehör. Ihr weicht die Generalverurteilung, die auf charakterliche und ethnische Zuschreibungen abhebt und letztendlich die Opfer zu Täter macht.

Dennoch ist der heutige Tag für viele Roma und Sinti ein Tag der Freude. Der Freude über die Befreiung aus der Hölle von Auschwitz. Demnächst werden der hessische Landesverband der Sinti und Roma und der Förderverein Roma in Kooperation mit der Stadt Frankfurt und dem staatlichen Schulamt eine Informationsbox für Frankfurter Schulen bereitstellen. Unsere Ausstellung Frankfurt-Auschwitz, die aus Stiftungs- und kommunalen Mitteln finanziert wurde, stößt seit zwei Jahren auf breites Interesse und wird heute Abend um 19.30 Uhr in der StadtBibliothek Bad Homburg eröffnet. Darüber hinaus ist es erfreulich, dass der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die vor zwei Jahren im Römer beschlossene Anbringung der Tafel erneut an historischem Ort, nämlich dem Ort des ehemaligen Stadtgesundheitsamtes und des Erbarchivs, in dem in der NS-Zeit auch Roma und Juden als Untermenschen kategorisierte und damit die Voraussetzung für Zwangsmaßnahmen bis hin zur Deportation in die Gaskammer geschaffen wurde, ermöglicht. Der Börsenverein setzt damit ein wichtiges Zeichen gegen das Vergessen und Verleugnen.

Vielen Dank