30 Jahre nach dem Anschlag wird ermittelt
1990 wird eine Bombe vor der Saarbrücker PDS-Geschäftsstelle gefunden.
Jetzt bringt ein Buch den Anschlag erneut auf die Agenda der Staatsanwaltschaft
VON CHRISTOPH SCHMIDT-LUNAU
Die irritierenden Bilder im Kopf, die durchlebten Ängste lassen Bernd Rausch bis heute nicht los. 19. November 1990: Unter einer Treppe vor der Geschäftsstelle der Linken Liste/PDS in Saarbrücken entdecken er und eine damalige Kollegin ein Sprengstoffpaket mit Zeitzünder. Sie waren nur zufällig auf die Bombe aufmerksam geworden, weil an diesem Tag Propagandamaterial aus der Parteizentrale angeliefert wurde. Mit einer Wasserdruckpistole entschärfen herbeigerufene BKA-Spezialisten den Sprengsatz. Der Zünder war auf einen Zeitpunkt eingestellt, an dem die Bombe wohl mehr als zwei Dutzend GenossInnen getroffen hätte.
Jedes noch so kleine Detail hat der heute 69-jährige Rausch noch
präsent: Wir hatten Todesangst, sagt er der taz. Damals ermittelten
die Strafverfolgungsbehörden offenbar halbherzig. Ein Polizeibeamter
streute sogar das Gerücht, die PDS habe den Anschlag selbst inszeniert,
um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Akten wurden nach einem Jahr geschlossen.
Jetzt liegen sie erneut auf dem Tisch, dank Rauschs Beharrlichkeit.
Vergangenen Oktober, kurz vor dem 30. Jahrestag des Anschlags, nahm die Staatsanwaltschaft
Saarbrücken die Ermittlungen erneut auf. Anlass war das Buch Die
Bombe, die uns töten sollte, in dem Rausch die Tat und
die nachlässigen Ermittlungen ausführlich dokumentierte. Die Staatsanwaltschaft
ermittelt nun wegen versuchten Mordes, kann jedoch noch keine neuen Erfolge
vermelden. Die Ermittlungen dauern an, teilte sie der taz mit.
Dass die Staatsanwaltschaft bei ihm für die Ermittlungen sogar Unterlagen
anfordern musste, ist für Rausch Beleg für die lasche
Vorgehensweise im ersten Anlauf. Offensichtlich war damals kein Todesermittlungsverfahren
eingeleitet worden, denn die Behörden konnten jetzt weder auf eigene
Akten noch Asservate zurückgreifen. Vernichtet wegen Fristablauf,
vermutete die Staatsanwaltschaft bei der Anhörung im Innenausschuss des
saarländischen Landtags im Oktober letzten Jahres. Wäre wegen Mordversuchs
ermittelt worden, müssten die Unterlagen noch aufzufinden sein. Die Staatsanwaltschaft
muss nun auf die Unterlagen zugreifen, die Rausch in seiner Publikation
auflistete. Dazu wurde er zuletzt im März ausführlich befragt.
Eigene Unterlagen wurden vernichtet. Staatsanwaltschaft greift auf Rauschs Unterlagen zurück
Der Buchautor und Mediendesigner im Ruhestand stellt den versuchten Bombenanschlag
gegen ihn und seine GenossInnen in eine Reihe mit zahlreichen mutmaßlich
rassistisch motivierten Brandanschlägen auf Unterkünfte von Migranten
und Asylbewerber, die im Saarland in den 90er Jahren offenbar Angst und Schrecken
verbreiten sollten.
Der folgenreichste traf im August 1991 eine Unterkunft in Saarlouis. Unbekannte
hatten einen Brandsatz im Treppenhaus eines Wohnheims gezündet. Zwei
junge Männer aus Nigeria wurden verletzt, als sie sich mit einem Sprung
aus dem Fenster retten konnten. Der 27-jährige Samuel Yeboah versuchte
durchs brennende Treppenhaus ins Freie zu kommen. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus
erlag er seinen schweren Verletzungen.
Auch in diesem Fall gibt es offenbar endlich eine Spur. Auf Anordnung
des Generalbundesanwalts durchsuchte die Polizei im Januar die Wohnung eines
tatverdächtigen 49-Jährigen. Für einen Haftbefehl gebe es bislang
keine hinreichenden Beweise, teilte die Bundesanwaltschaft der taz mit: die
Ermittlungen dauern an. Zu einem möglichen Zusammenhang mit dem
Saarbrücker Bombenanschlag mochte weder die Behörde in Saarbrücken
noch die in Karlsruhe Stellung beziehen.
Für Rausch, der sich selbst als Ökosozialisten bezeichnet,
sind das erste Erfolge in einem langen, einsamen Kampf. Er hat
in all den Jahren nicht locker gelassen. Nachdem der Nagelbombenanschlag in
Köln 2004 Jahre später dem rechtsterroristischen NSU zugerechnet
werden konnte, habe er die Bundesanwaltschaft aufgefordert, den Kölner
Sprengsatz mit dem aus Saarbrücken zu vergleichen, ebenfalls ein
Selbstsubstrat. Vergeblich.
Im Saarland gab es nicht nur die Brandanschläge und die Bombe. Da war
auch der Anschlag auf die geplante Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen
der Wehrmacht in Saarbrücken im März 1999. Auch dieser Anschlag
wurde nicht aufgeklärt.
PolitikerInnen der saarländischen CDU hätten dagegen lieber gegen
die angebliche Beschmutzung des Andenkens an die deutschen Soldaten demonstriert,
erinnert sich Rausch. Auch die Hinweise, dass das NSU-Trio im Saarland
unterwegs war, seien im Dunkeln geblieben. Nach Rauschs Überzeugung
passt das alles zu dem, was er saarländische Verhältnisse
nennt: Nach der Angliederung des Landes an die Bundesrepublik seien die Verstrickung
führender saarländischer Politiker in das Nazi-Regime systematisch
verleugnet worden, hinter einer Mauer des Verschweigens, wie er
sagt.