Die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz zur Vernichtung der Roma und Sinti im Dokumen-tationszentrum Prora (Rügen)
Ausgang - Kontakt: Ausstellung
Bildtitel, Aufbau der Ausstellung im Dokumentationszentrum Prora, Fotos: Bernd Rausch
Zu den Bilderrn der Eröffnungsveranstaltung Frankfurt - Auschwitz am 9.5.2011 im Dokumen-tationszentrum Prora Der folgende Beitrag von Marlis Tautz erschien in den Tageszeitungen Schweriner Volkszeitung, dem Nordkurier Neubrandenburg und in den Norddeutschen Neuesten Nachrichten in Rostock.

Völkermord ohne Scham
BERGEN - Das Grau der Wände macht die Brust eng. Es ist ein Triptychon,
dem sich der Besucher im Dokumentationszentrum Prora auf Rügen
gegenübersieht - ein Kunstwerk, Teil der Ausstellung
"Frankfurt-Auschwitz", die heute beginnt. Sie erinnert an einen
Völkermord, manche versehen ihn mit dem Prädikat "Der Vergessene", den
Völkermord an den Sinti und Roma. Bis heute gelten sie als die am meisten
diskriminierte Volksgruppe in Europa, woran die Antidiskriminierungsstelle
des Bundes gestern am Internationalen Roma-Tag wieder einmal erinnert hat.

Joachim Brenner, Gründer des Fördervereins Roma in Frankfurt, geht weiter.
Schamlos, unverschämt im ureigensten Sinne des Wortes wurden und werden
seiner Ansicht nach die Verbrechen an Sinti und Roma ignoriert,
entschuldigt, im schlimmsten Fall sogar gebilligt. "Feindlichkeit gegen
Sinti und Roma ist kein Phänomen von Randgruppen, sie zieht sich bis heute
quer durch die Gesellschaft", sagt er. Seit 25 Jahren stemmt er sich mit
seinem Verein dagegen. Die Ausstellung ist eines seiner jüngeren Projekte,
eines "mit Herzblut". Sie entstand gemeinsam mit dem Künstler Bernd Rausch
aus Saarbrücken. Mit seinen beklemmenden, großformatigen Bildern will er
ein Gefühl für das Thema der Ausgrenzung und Vernichtung schaffen. Das
Triptychon gehört dazu.

Das Geflecht einer Großfamilie

Über den grauen Untergrund breitet sich das Geflecht einer Großfamilie
aus: Männer mit Schnauzbärten, Frauen mit Seidenhaar, Kinder mit
Knopfaugen - 97 Menschen. 88 von ihnen lebten zur Machtübernahme der
Nationalsozialisten, ein Viertel war danach tot, acht kehrten aus den
Konzentrationslagern zurück. Eine Familie, stellvertretend für hunderte,
in wenigen Worten vorgestellt am Rande der grauen Fläche von Teil 1 des
Dreierbildes "Das Lager".

Die Vorfahren der Sinti und Roma waren vor rund 600 Jahren nach Unruhen
aus Westindien, dem Pandschab, Richtung Westen geflohen, wie Joachim
Brenner erklärt. Die einen, die Sinti, wanderten über Osteuropa in den
mitteleuropäischen, auch deutschsprachigen Raum ein. Die anderen, die
Roma, kamen nach einem Umweg über Nordafrika in Osteuropa an. Ihre
Herkunft, ihre Sprache seien gleich, vor allem aber ihre Erfahrungen von
Unwillkommensein und Geächtetwerden. "Sie haben sich dagegen geschützt
durch ihren starken Familienzusammenhalt", sagt Joachim Brenner. Und sie
zogen weiter, um Konflikten aus dem Weg zu gehen, und trugen sich so den
Ruf des unzuverlässigen, fahrenden Volkes ein.

Schon den 1920er-Jahren gab es in deutschen Städten sogenannte
Zigeunerlager. Zum Beispiel in Frankfurt/Main, es gilt neben München und
Berlin als zentraler Ort der Verfolgung. "Der damalige hessische
Innenminister Wilhelm Leuschner, später als Widerstandskämpfer geehrt,
hatte strenge Zigeunergesetze erlassen." Sie legten Handelsbeschränkungen
und Aufenthaltsbestimmungen fest, die Polizei und Stadtverwaltung willig
durchsetzten - Vorboten des künftigen Nazi-Terrors. Später wurde an der
Universität Frankfurt das rassehygienische Institut eingerichtet, das die
vermeintlichen Argumente gegen Sinti und Roma und andere lieferte. Eine
unselige Kombination von Administration, Wissenschaft und Vollstreckung,
die in Auschwitz gipfelte, so beschreibt es Joachim Brenner.

"Es gab im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nichts Elenderes als den
Zigeunerblock", heißt es im zweiten Bild des Triptychons "Die
Vernichtung". Und weiter: "Allein in der Nacht vom 2. auf den 3. August
1944 wurden knapp 2900 Sinti und Roma aus dieser Baracke vergast, nachdem
sie sich im Mai desselben Jahres durch einen Aufstand kurzzeitig
erfolgreich gegen den massenhaften Mord zur Wehr gesetzt hatten."
Seinerzeit waren in Auschwitz hunderttausende Juden aus Ungarn
eingetroffen. Sie auszulöschen, hatte für die Lagerverwaltung Vorrang.

Ausgrenzung und Rassismus bis heute

In Auschwitz starben mehr als 23 000 Sinti und Roma, etliche fielen den
Experimenten von NS-Ärzten zum Opfer. Bis zu ihrem Ende hatte die
Vernichtungsmaschinerie der Nazis eine halbe Million Sinti und Roma
verschlungen. Ein vergessener Völkermord. Der Künstler Bernd Rausch hat es
in Vorbereitung auf seine Arbeit für "Frankfurt-Auschwitz" bei einem
Besuch in Polen erlebt: Die Fremdenführer im Lager konnten kenntnisreich
und detailliert über alles Auskunft geben, über Sinti und Roma sprachen
sie erst, als der Besucher aus Deutschland nachfragte.

Im dritten Flügel seines Triptychons - "Die Toten" - beschreibt er, wie
die immer gleiche Geschichte weitergeht: "Die personelle und gedankliche
Kontinuität in Institution und Gesellschaft prägte das Verhalten gegenüber
Sinti und Roma nach 1945. Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus,
Ausgrenzung und Diskriminierung kennzeichnen auch heute noch das
Meinungsbild der Mehrheitsgesellschaft - die selbstkritische
Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist die Voraussetzung dafür,
Vorurteilen, Klischees und Hass gegenüberzutreten."

Der Frankfurter Förderverein Roma führte einen zähen Kampf über zehn
Jahre, um mit einer Gedenktafel an der Fassade die Opfer zu ehren. Seit
2000 hängt sie.

"Es ist bezeichnend, dass selbst zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Schutz
der Täter und nie mit dem Gedenken an die Opfer argumentiert wurde", sagt
Joachim Brenner. "Eine solche Kontinuität ist nur möglich, wenn sich
niemand dagegen auflehnt."

http://www.svz.de/nachrichten/home/top-thema/article/1715/voelkermord-ohne-scham.html


MVregio - Nachrichten für Mecklenburg Vorpommern

Ausstellung "Frankfurt - Auschwitz"

Prora/MVregio Am Samstag, den 14. Mai 2011, um 17:00 Uhr findet im Dokumentationszentrum Prora ein Zeitzeugengespräch zur aktuellen Ausstellung "Frankfurt - Auschwitz" statt.

Unter dem Titel "Antiziganismus in Deutschland – Kinder von HolocaustÜberlebenden berichten" erzählen die Roma-Schwestern Ursula Rose und Marie Strauss von ihren Erfahrungen mit Diskriminierung und Antiziganismus in der Bundesrepublik Deutschland und dem Schicksal ihrer Eltern in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen während des "Dritten Reiches". Darüberhinaus steht die Traumatisierung der 2. Generation von HolocaustÜberlebenden im Mittelpunkt des Gesprächs mit den beiden Roma.
Die Schwestern berichten u.a. von ihrem Vater und seinen Erlebnissen im Konzentrationslager Sachsenhausen, wie er sie seinen Kindern vermittelt hat. Aber auch die von ihnen unmittelbar erlebten Auswirkungen der Traumatisierung des Vaters kommen zur Sprache. So holte er seine Kinder oftmals nachts aus dem Bett um ihnen Geschichten zu erzählen. Nur ungern ließ er sie aus dem Haus gehen, nicht ins Kino oder auf den Spielplatz, hatte er doch Angst, seine Familie ein zweites Mal zu verlieren.

Die Roma schildern auch das Entsetzen der Eltern, als diese feststellen mussten,
dass sie auf den Ämtern ihrer Heimatstadt Frankfurt/Main auf dieselben Beamten
trafen wie zur Zeit des NS-Regimes. Deren Haltung gegenüber den Roma hatte sich gegenüber ihrer Einstellung in den 30er Jahren nicht wesentlich verändert. Noch heute ist das Verhältnis vieler Deutscher gegenüber Sinti und Roma durch
Antiziganismus und Diskriminierung geprägt. Ursula Rose und Marie Strauss
berichten darüber.

Bereits am Freitag, den 13. Mai 2011, werden die beiden Zeitzeuginnen mit Schülern der 8. Klasse der Regionalen Schule Sassnitz zusammentreffen und sich ihren Fragen zur Geschichte ihrer Familie stellen. Die Ausstellung "Frankfurt - Auschwitz" über die Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus ist noch bis zum 31. Mai 2011 im Dokumentationszentrum Prora zu sehen.