Ausgang

März 2011 Jochen Voith erinnert mit einer grossen Biographie an die Legende Ernst Busch - Ernst Busch verschläft seine Verhaftung, singt aber weiter

Buchvorstellung von Stefan Gleser

Hineingeboren in die Welt des Zehnstundenstages, des Trockenwohnens und des Dreiklassenwahlrechts bleibt ihm eine Zuflucht: das Lesen. Später bitten ihn berühmte Dichter und Komponisten, ihre Lieder zu singen und diese werden von Moskau bis Madrid gehört. Am seinem Grab stehen die Höchsten des Staates. Dazwischen lagen viele Länder und zu viele Gefängnisse. Das Leben des Sängers und Schauspielers Ernst Busch war so aufregend, so verwoben mit den Grössen und dem Schrecken der Zeit, dass kein Schriftsteller, weil ihm sofort vorgeworfen wäre, er wäre ein wirrer Fantast, gewagt hätte, es zu erfinden.

Der Geschichtswissenschaftler Jochen Voith unternahm das Risiko, eine mehr als 500 Seiten dicke Biographie über Ernst Busch zu schreiben. Abgefüllt mit Fakten und Fussnoten, detailbesessen und materialreich ruht „Er rührte an den Schlaf der Welt“, ein Zitat aus einem Gedicht Johannes R. Bechers an Lenin, auf einer Doktorarbeit, die wiederum einer Magisterarbeit zugrunde liegt.

Das schreckt die Leute ab, hat sich Voit wohl gedacht, die meinen dann alle, ich würde im abwägenden Duktus des besonnen Gelehrten, also sterbenslangweilig alles exakt aufzeichnen, und so verfällt Voith ins Gegenteil, in eine zuweilen abgeschmackten Reporterschreibe. Man meint manchmal Gast bei „Bunte“ oder „Gala“ zu sein. So schludert Voit vor sich hin, dass Busch „…eitel und empfindlich, hochmütig und scheu, Platzhirsch und Nachtigall, Macho und Mimose“ gewesen sei. Ich aber sage euch: Busch war noch viel mehr. Er war auch Zierfisch und Hai, Rose und Rotkohl. Voit hätte seine Ausflüge zu animalfloristischen Bildlichkeiten unterlassen sollen.

Voit belegt plausibel, dass Ernst Busch einen unerfreulichen Charakter hatte. Abgesehen davon, dass weder französische Lager noch deutsche Zuchthäuser Herzensbildung fördern, dürften Alter und Krankheit das ihrige beigetragen haben. Narzissmus und Egomanie, über die Busch in Überfülle verfügte, werden bei bürgerlichen Künstlern als Tribute an das Genie, als Ausdruck einer hochgezüchteten Sensibilität, als verfeinerte Reizbarkeit, als gekonntes Medienspiel abgefeiert. Aber Busch war halt Kommunist und Proletarier.

Ernst Busch war dort, wo über das 20. Jahrhundert entschieden wurde. Kieler Matrosenaufstand, in Berlin als es Hauptstadt der Kunst mit der Piscator-Bühne, der Dreigroschenoper, dem Film „Kuhle Wampe“ war , unter „Spaniens Himmel“ gegen Franco, in der Sowjetunion zur Zeit der grossen Säuberung und in den Kerkern des Faschismus.

Sein Leben stand mehrmals auf der Kippe. Im März 1933 öffnete er einfach nicht die Wohnungstür, als die SA davor stand. Er war abends lange unterwegs gewesen. Und die Nazischergen drehten sich um und marschierten weg. Oder als mit Hilfe Gustav Gründgens die angedrohte Todesstrafe wegen Vorbereitung zum Hochverrat in Zuchthaus umgewandelt wurde. Als man Busch aus den Trümmern des zerbombten Gefängnisses herauszog, befürchtete er, niemals wieder singen zu können: seine rechte Gesichtshälfte war gelähmt.

Auf Bürgerliche wirkte er Maurersohn so überwältigend neu, dass sie seine Stimme zulabern mussten: „Singendes Herz der Arbeiterklasse”, „der proletarische Hans Albers“, „Barrikaden Tauber”, oder „Roter Orpheus“.

Alle mal zuschauen & hören, Ernst Busch kommt auf die Bühne. Ein Blick von ihm genügt, um Plunder und Plüsch des 19. Jahrhunderts, den „Gemütskitsch“ (Herbert Ihering) und das „O Mensch Pathos“ zu verscheuchen. Die Fluppe im Mundwinkel, die Hände in den Taschen singt er, wie es Hanns Eisler vorschlägt, „leicht gröhlend, damit es nicht zu schön klingt und niemand erschüttert.“

Voith scheitert glänzend, die Einzigartigkeit Ernst Buschs zu erklären.
Jochen Voit: Er rührte an den Schlaf der Welt. Ernst Busch. Die Biographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2010.
515 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783351027162



Stefan Glesers Buchrezensionen - Sechs auf dieser Seite
Januar 2011 Die poetische Wut

Ein unsichtbares Komitee aus Frankreich denkt über den Aufstand nach

Buchvorstellung von Stefan Gleser

Sie erwägt und prüft. Dann entschliesst sich eine italienische Pfandflasche Molotowcocktail zu werden. In Oslo hat die Vernunft einen älteren Herrn überfallen; er fährt zum ersten Mal in seinem Leben schwarz. Düsseldorfer Buchhalter klauen Büromaterial wie die Raben. In der französischen Provinz entspannt sich ein abgeklemmter Stromzähler. Er hat genug geschafft für heute. Die Schönheit eines Backsteins in der Auslage einer Athener Bank rührt Passanten zu Tränen. „Der kommende Aufstand“ ist schwer zu fassen, unerwartet und hat weder Namen noch Wohnort. Seine Nahrung bezieht er aus vielen, kleinen, unscheinbaren Gesten des Aufbäumens. Die Fahndungsaufrufe der Polizei wirken in ihren Mutmassungen und Verdächtigungen reichlich tapsig. So weit linksradikal, anarchistisch und träumerisch. Die Faszination, die das schmale Bändchen, herausgegeben von einem anonymen „unsichtbaren Komitee“ aufs bürgerliche Feuilleton ausübt, muss also eine andere sein.

Vielleicht liegt sie in der Verachtung des Oberschülers gegenüber den Mühen der Ebene, dem täglichen Kleinkram, dem Durchwursteln. Die Revolutionäre des unsichtbaren Aufstandes kochen kein Teewasser und fegen keine Versammlungsbüros wie bei Brecht oder Jack London. Klaus Maresch hat in „Telepolis“ auf die Glorifizierung der Gangs hingewiesen. Ich kann mich des Einrucks nicht erwehren, dass es zu den Gnaden der Reisebüros gehört, Abenteuerurlaub ganz in der Nähe der Slums anzubieten. Und deren Bewohner leiden unter Drogenhandel und Kriminalität und dürften deshalb randalierende Banden kaum als revolutionäres Subjekt in Betracht ziehen. Um es zugunsten der Verfasser zu formulieren:

Die „unerträglichen Verhältnisse“ gebären den Aufstand in uns. Jugendliche aus den Vororten und Intellektuelle ohne Planstellen ziehen ihn gross statt Überläufer aus der herrschende Klasse wie bei den Jakobiner und Bolschewisten.

Die paar übrig gebliebenen Kommunisten, die voll eiserner Schwermut noch immer die Wahrheit verkaufen, dürfte das Komitee als grau und langweilig empfinden. Mit den Arbeiterparteien und Gewerkschaften hat es wenig im Sinn. Sie verdienten allenfalls noch wegen ihres „heroischen Ursprungs“ Achtung.

Die Zurichtung auf den Arbeitsmarkt erfasst den gesamten Tag einschliesslich Freizeit. Immer mehr haben es satt, als innovatives Humankapital aufzustehen und als selbstbestimmte Ich-AG ins Bett zu fallen. Wer uns vor den grossen Seuchen bewahrt, wie Putzfrau und Müllabfuhr zieht bald das Gefängnis der Arbeit vor. Die Rückzugsgebiete, die kleinen Fluchten sind kommerzialisiert und deine Sprache schon erobert, bevor du den Mund aufmachst. Preise die Revolte auf deinem Blog und morgen wird dich ein Chef autonom und kreativ finden.

Andererseits könnte uns die heutige Misere im Rückblick noch als Idyll erscheinen. Merkwürdig unbeachtet bleibt, wie Europa von den Schwedendemokraten im Norden bis zu der Jobbik im Osten sich allmählich braun färbt.

Der frontale Angriff und Gewalt gegen Menschen werden abgelehnt. Damit Grosstädte funktionieren, benötigen sie eine komplexe und empfindsame Technologie. Das ist ihre Schwachstelle, darin sickert langsam, fein dosiert die Subversion ein. Aus dem Fernsehen ruft irgendein Politiker zu einer neuen Kultur des Dialogs auf. Irgendetwas solle geändert werden. Der Geist der Verfassung wird beschworen oder die Partizipation der Bürger gestärkt oder so ähnlich. Nur wenige hören zu. Denn auf der Strasse gibt`s frisches Obst von der Landkommune.

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand
Original: L’insurrection qui vient, La fabrique éditions
Aus dem Französischen übersetzt von Elmar Schmeda
Broschur, 128 Seiten , Nautilus Hamburg, 2010,
€ 9,90
ISBN 978-3-89401-732-3

Januar 2011 Das Bürgertum verroht. Die „Deutschen Zustände“ zeigen die Elite ohne Maske.

Deutschen Zustände

Von Stefan Gleser

In den Abgrund stürzen und dabei Ausschau halten, wer noch unter einem steht. So lässt sich die Seelenlage unserer „Leistungsträger“ zusammenfassen. Untersucht hat den Gemütszustand der wohlhabenden, gut situierten Bürger der Bielefelder Pädagogikprofessor Werner Heitmeyer. Seit 2002 erforschen er und seine Kollegen in den „Deutschen Zuständen“ „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Darunter verstehen sie die Stigmatisierung von Mitbürger wegen ihrer ethnischen, kulturellen oder religiöser Abkunft, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Präferenz, ihrer körperlichen Handicaps, ihrer wirtschaftlichen Schwäche sowie die Haltung zu den Privilegien der Reichen. (Etabliertenvorrechte). Im Mai und Juni des vergangenen Jahres befragten sie 2 000 Personen. Als „höheres Einkommen“ galt dabei über 2600 Euro Haushaltsnettoeinkommen, umgerechnet und gewichtet nach Anzahl der Personen.

Jetzt sind Vorurteile nichts Neues; erschreckend ist es, bei wem sie angekommen sind: Bei den aufgeklärten, zivilisierten Konservativen, bei den Gutverdienenden, die sich selbst als links von der Mitte einstufen.

Golfplatz und Opernhaus zeigen ihr hässliches Antlitz. Das ledergebundene Buch wird zur Seite gelegt, die Hausmusik verstummt und man pöbelt „verroht“ und „entkultiviert“ über Moslems und Arbeitssuchende. Es ist verdammt hart, in einer Villa zu vegetieren. Man muss „wirtschaftlich Nutzlose“ durchfüttern, siecht unter der Steuerlast dahin und der Islam bedroht noch die christlich-jüdisch-abendländische Kultur.

Wenn die Rede ist, dass wir vor einem Jahrhundert des „autoritären Kapitalismus“ stünden, eine „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ um sich greife, die Mitte sich radikalisiere, ein „Klassenkampf von oben“ herrsche oder die Demokratie verachtet würde, so sollte man beachten, dass hier besonnene Wissenschaftler schreiben und nicht wild gewordene Wahlkämpfer einer linken Partei.

Der Neoliberalismus hat jeden Lebensbereich der Barbarei der Ökonomie unterworfen. 58,9 % der Befragten sind empört, dass “sich Langezeitarbeitslose auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen“. Ein knappes Drittel meint, dass wir in uns in der Wirtschaftskrise nicht mehr leisten können, „alle Menschen gleiche Rechte“ einzuräumen und 61 % finden, dass in Deutschland zu viele schwache Gruppen mitversorgt werden müssten.

Die Islamfeindlichkeit verbreitete sich weiter. Ein gutes Viertel lehnt einen weiteren Zuzug von Moslems ab. Islamophobie stärkt das eigne Selbstwertgefühl ungeheuer. Sie erlaubt es, sich als Vorkämpfer für Toleranz und Aufklärung gegenüber einer Religion des Zwanges aufzuführen. Wer die Gleichbehandlung aller Kulte einfordert, gilt als unheilbarer Gutmensch mit Illusionen.

„Rechtspopulistische Einstellungen“, so die Forscher „gehen deutlich mit Orientierungslosigkeit einher, sind stärker mit aggressiven Stimmungen durchsetzt und mit gewaltbilligenden Einstellungen verbunden.“ Den Rechtspopulisten fehlt noch ein „Mobilisierungsexperte“, eine charismatische Persönlichkeit, die es versteht in Stil, Form und Auftritt, nicht unbedingt vom Inhalt, sich von der Schmuddelecke der NPD zu distanzieren.

Damit der „Status“ des Gutverdienenden erhalten bleibe, drängt er seine Meinung gern anderen auf und dies in einer äusserst geschickten Weise. „Spiegel“ und „Zeit“ gelten in der Aussenwahrnehmung noch immer als liberal und so erscheint das Ressentiment als differenziert und wohl erwogen. Auch verbinden unsere Herrenreiter ihren ansonst so forschen Auftritt gern mit dem larmoyanten Hinweis, sie stünden kurz vor der medialen Hinrichtung. Ihre schneidige Wehleidigkeit, ihr märtyrerhaftes Auftrumpfen ist schon eine abstossende Mischung. Die Haltung der Wenigen soll zur Ansicht der Vielen werden, und so wird den Unterschichten, die nach den Demütigungen, von Harzt IV über Gesundheitspolitik bis zur Rentenreform, die ihnen ihre einstige Partei zufügte, in „wutgetränkter Apathie“ dahindämmern, die „Eiseskälte“, mit der sie verachtet werden, in Talkshows mit menschlicher Wärme, in ergreifenden Einzelschicksalen und mit lächelndem Gesicht oder auf dem Boulevard, hübsch drapiert zwischen halbnacktem Hintern und Fussball, gereicht.

Der katholische Sozialwissenschaftler Friedhelm Hengsbach sieht den „Gesellschaftsvertrag“ von oben gekündigt. Hengsbach äusserst Verständnis für Jugendliche, die von vorne herein keine Lehrstelle annehmen, da ihnen auch nach Abschluss einer Ausbildung nichts als atemloses Springen von einer ungesicherten Beschäftigung in die nächste bevorstünde.

Zu den Vorzügen der „Deutschen Zustände“ gehört die Korrespondenz zwischen Wissenschaft und Praxis. Aus dem Alltag des Prekariats berichtet ein Berliner Zeitungsverkäufer. Wenn demokratische Parteien und Vereine ohne Attraktivität für Jugendliche für sich hindümpeln, wittert die Rechte ihre Chance. Reportagen berichten über den Anschlag auf das „Haus der Demokratie“ in Zossen oder Dortmunds Aufstieg zur Hochburg der Autonomen Nationalisten.

Der Kotau vor der Bank und der Tritt nach dem Kopftuchmädchen. In den „Deutschen Zuständen“ begegnet uns Heinrich Manns „Untertan“ in der zeitgenössischen Fassung.

Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Deutsche Zustände. Folge 9, Suhrkamp, Berlin 2010,
15,00 €, Broschur, 348 Seiten
ISBN: 978-3-518-12616-5

Oktober 2010 „Ich sterbe ruhig und mutig“ – Ein Buch über den Widerstandskämpfer Josef Wagner

Der tapfere Friedenssoldat

Buchvorstellung von Stefan Gleser

Für´s Hüten fremder Leute Kühe gibt´s einen halben Apfel. Zehn der vierzehn Geschwister versterben früh. Die Mutter verliert er mit elf. Eine Kindheit, wenn man darunter behütet und sorglos versteht, hat Josef Wagner nie erlebt. Er wurde 1897 in Lockweiler, einer zutiefst katholischen und bäuerlichen Gemeinde, oben im Hochwald geboren. Erste feine Risse im Gefüge der mächtigen Kirche kündigen sich in der Kaiserzeit an. Der Pfarrer legt die Wahlen zum Kirchenvorstand auf einem Samstag fest. Da haben nur Landwirte, die von ihrem Grund und Boden leben können, Zeit. Wer in die Bergwerke an die Saar fahren muss, würde bei Wahlteilnahme eine Schicht verlieren. Bitten und Proteste fruchten nichts, der Kleriker bleibt stur. Kein Grubenarbeiter erringt einen Sitz.

Für Josef Wagner ist das Leben vorprogrammiert. Wie sein Vater wird er Bergmann. Vom kärglichen Lohn wird noch die Schlafstelle abgezogen. Die Frauen mühen sich zu Hause mit Kindern und Feldarbeit und dem bisschen Vieh ab. Der Sonntag dauert eine Wimpernschlag und dann wieder zurück in den Schacht.

Im ersten Weltkrieg schickt man den Wagner an die Front und dann sieht er den Schützengraben, den Offizier im Casino und den kriegsblinden Bettler auf der Strasse und wird Gewerkschaftler und Kommunist. Liest und vergleicht man die Wahlergebnisse, so muss Wagner weit über den Kreis der organisierten Arbeiterschaft gewirkt haben. Welche Vorurteile mögen ihm bei den frommen Kleinbauern, die täglich um ihr Eigentum bangen und täglich den Kapitalismus neu schaffen, begegnet sein, Wie mühsam muss es gewesen sein zu erklären, dass sie sich selbst ausbeuten und der Sozialismus nicht der Gottseibeiuns ist. Wagner dürfte zu den seltenen Kommunisten gezählt werden, die einen Kleinbauern mitdenken konnten. Auf jeden Fall wird man auf Reichsebene auf Wagner, der anscheinend in einem ganz fremden Milieu fischen kann, aufmerksam und schickt ihn zur Rosa-Luxemburg-Schule nach Berlin.

Nach dem Wahlsieg der Nazis konnte Wagner 1933 aus Lockweiler, das damals zur preussischen Rheinprovinz gehörte, gerade noch rechtzeitig nach Schmelz ins Saargebiet fliehen. Es steht unter der Verwaltung des Völkerbundes und spielt im Kampf gegen Hitler eine wichtige Rolle. Es ist deutschsprachig und noch frei. Wagner agitiert sofort gegen die Kriegsvorbereitungen der Nazis. „Der rote Primstalbote“ wird bis in den Hochwald hinein geschmuggelt. Wagner übermittelt Nachrichten zwischen den illegalen Zellen im Reich und der Bezirksleitung in Saarbrücken. Die Faschisten schätzen Wagners Bedeutung für den Widerstand richtig ein: Sie versuchen ihn auf Reichsgebiet zu locken und setzen eine Kopfprämie aus. Der Druck der Gestapo auf die Familie wird unerträglich. Schliesslich ziehen seine Frau Helena und die Tochter Maria nach Schmelz. Die Saar wird nicht gehalten. Die verlorene Volksabstimmung zwingt Wagner am 17. Januar 1935 ins Exil. Er lebt in Grenznähe in Kleinrosseln und Forbach. Wagner arbeitet im Ausschuss „Zur Vorbereitung einer Volksfront für das Saargebiet“. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Frankreich wird Wagner im Süden, in das Gefängnis von Castres gesperrt. Seine Tochter Maria ist äusserst mutig und es zählt zu den anrührendsten Stellen des Buches, wie sie die Verbindung mit dem Vater aufrecht zu erhalten sucht. Wagner muss innerhalb der Antifaschisten ein hoch geachteter Mann gewesen sein. Der expressionistische Schriftsteller Rudolf Leonhard widmet ihm ein Gedicht und der Journalist Alexander Abusch rühmt Wagner in einem Brief an Heinrich Mann als „ausgezeichneten Nazigegner“. Die Vichy-Regierung liefert Wagner am 16. Juli 1942 an die Gestapo aus. Das „Volksgericht“ klagt Wagner wegen „Hochverrats“ an. Vor zehn Jahren wurde Wagner aus seiner Heimat verjagt. Wie erinnert man sich an ihn? Hat da nicht einer vor dem Krieg gewarnt? Selbst die NS-Gauleitung fürchtet, dass seine Hinrichtung Unzufriedenheit und Verbitterung mehren würde. Die Familie, nie mit Reichtümer gesegnet, beauftragt einen Saarbrücker Rechtsanwalt statt des von des Nazis bestellten Pflichtverteidiger. Alles vergebens. Die Blutjustiz mordet Wagner am 1. September 1943 in Berlin-Plötzensee.

In seinem letzten Brief bittet er seine Familie, sich „keinen Kummer“ und „keine Sorgen“ zu machen. Er werde „ruhig und mutig“ sterben.

Dem Saarbrücker Schriftsteller und Journalisten Dieter Gräbner ist es zu verdanken, dass Josef Wagner dem Vergessen entrissen wurde. Widerstand war, dies beweist das Buch, mehr als der Junker, dessen Gewissen erwachte, weil die Rote Armee vor dem Rittergut stand. „Ich sterbe ruhig und mutig“ lebt von der Spannung, dass Gräbner, Preisträger der Konrad-Adenauer Stiftung, Wagners Theorie vehement ablehnt, aber zuweilen, wenn er bei seinen Erkundungen beklagt, dass Kinder chancenlos aufwachsen oder Langzeitarbeitslose ausgemustert werden, die Welt mit Wagners Augen anzuschauen scheint. Fundament des Buches sind die zahlreichen Dokumente, die der Historiker Dr. Luitwin Bies zusammentrug. Gräbners Gabe liegt in der Beobachtung, im direkten Kontakt. Er hört Wagners hochbetagter Tochter, die im Süden Frankreichs lebt, zu und startet in den Strassen Losheims eine kleine Privatumfrage zu Josef Wagner mit dem durchaus erfreulichen Ergebnis, dass es doch junge Leute gibt, die mit diesem Namen etwas anfangen können. Und wie steht die Gemeinde Losheim zu ihrem tapferen Sohn? Nach Schlachtenlenkern und Kriegsherren sind so viele Strassen benannt. Nach dem Friedenssoldaten Josef Wagner keine einzige.

Oktober 2010 Mord, Markt und Plagiat - Elke Schwabs neuer Krimi „Das Skelett vom Bliesgau“

Buchvorstellung von Stefan Gleser

So zwischen dem dritten oder vierten Glas rauscht dem jungen Kommissar Bernhard Diez der alte Schlager in die schon arg angezwitscherte Birne,
dass man bessere Damen nur durch Kenntnis der Literatur gewinnt und er zitiert Shakespeare. Völliges Unverständnis bei der anwesenden Weiblichkeit. Da ist der Diez erst mal verwirrt, denn vor ihm stehen
eine Autorin und, Berufe haben die Leute heutzutage, zwei Literaturagentinnen. Die vom Fach sagen dann nachher: Ach so, natürlich.

Ausgedacht hat sich die Kneipenszene die saarländische Schriftstellerin Elke Schwab. Ihr neuestes Buch „Das Skelett vom Bliesgau“ ist ein Krimi über des Mordes verdächtige Krimiautoren. Die Aufklärung der Tat und die Beschreibung der Literaturszene behandelt die Schwab unterschiedlich.
Brav erfüllt sie die Anforderungen an den schon klassischen Regionalkrimi. Die ermittelnde Kommissarin Anke Deister bringt Reitpferd, Kind und Beruf unter einen Hut. Hilfreich wirkt dabei der
väterliche ehemalige Vorgesetzte. Wenn Rationalisierung über Entlassung zum Amoklauf führt oder wenn Wohnsitzlose beguckt werden, so ist solche Kritik jedermanns Wohlwollen sicher.

Auslöser der Polizeiarbeit ist eine nur notdürftig verscharrte Leiche im lieblichen Mandelbachtal, auf die Anke Deister fiel. Wahrscheinlich ist
es der seit fünf Jahren vermisste Ingo Landry. Berühmt wurde dieser Landry als er seinen Roman „Die Emanzipation des Mannes“ schrieb. Noch
berühmter wurde er, als seine Kollege Sybille Kriebig ihm vorwarf, er habe ihr Buch „Frauen an die Macht“ einfach auf den Kopf gestellt und abgeschrieben. Auf jeden Fall hat der Medienknatsch beiden gut getan.
Ihre Bücher landeten auf den Bestsellerlisten. Noch grösser wird der Trubel, als eine weitere Landry-kompatible Leiche auftaucht.


Wer den Landry näher kannte, wäre nie auf die Idee gekommen, dass der mal Sitzriese werden und eigne Bücher signieren würde. Landry war zweifelsfrei intelligent und schreibgewandt, aber ihm fehlte jede
Notwendigkeit sich mal länger zu konzentrieren. Schon als Kind hatte er die Pläne für seine Modellautos zwar sofort begriffen aber ebenso so
schnell das Basteln als langweilig empfunden. Gestützt aufs väterliche Erbe kultivierte er seine Ansicht, Sekundärtugenden wie Fleiss und Zielstrebigkeit seien was für Dumme. Selbstbewusstsein sog er aus dem
mächtigen, metallischen Zittern seiner Luxuskarossen. Aber o weh, das Bankkonto schmolz sanft vor sich hin. Und so kam ihm der Vorschlag seine
Jugendfreundes Matthias Hobelt, Kriebigs Buch einfach auf den Kopf zu stellen und die Männer die Opferrolle einnehmen zu lassen, gerade recht.

Und bei Matthias Hobelt schliesst sich wieder der Kreis zu den Kulturbetriebsnudeln von der Theke. Wie jene interessiert ihn Lesen, Stil, Ausdruck gar Formprobleme herzlich wenig. Aber alle wissen, wie
man ein Buch hochputscht, es marktfertig zubereitet, einen Autor zu einer Art Label kreiert. So konventionell der Roman als Krimi ist, so
spöttisch gibt er sich, wenn er den Medienrummel beobachtet. Als die Schwab an ihrem Skelett bosselte, ahnte sie nicht, dass sich vom ihrem
Thema Plagiat das Feuilleton würde wochenlang ernähren können. Welch eine Aufregung ergoss sich aus Zeitung und Bildschirm. Und jetzt stapeln
sich die Axolotls im Tierheim. Legen Sie den Heimatkrimi ruhig beiseite und lesen Sie ein Lehrstück über den artgerechten Verkauf von Büchern.
Elke Schwab Das Skelett vom Bliesgau
Conte Verlag, Saarbrücken
2010 288 Seiten, Paperback
ISBN 978-3-941657-14-4
Preis 12,90 €

Juli 2010 Die Kunst der Sabotage

Über den Widerständler Karl Wagner

Buchbesprechung von Stefan Gleser

Der junge Karl Wagner wird hin- und hergetrieben. Seine Mutter macht sich grosse Sorgen um ihn. Sieht ihren Sohn wieder eingesperrt und geschlagen: „Bub, wenn du bloss die Politik an den Nagel hängen würdest. Alles wäre gut.“ Karl erwidert, dass wenn Hitler nicht „von der Bildfläche verschwindet“ ein Krieg käme. Dann könne sich keiner drücken, da würde keine Angst was nützen. Er wolle, wenn ihm denn nichts übrig bliebe, lieber im Gefängnis sein, als „auf andere Menschen schießen.“

Der kommunistische Widerstandskämpfer Karl Wagner ist der proletarische Supermann aus dem Poesiealbum des sozialistischen Realismus. Beruflich hoch qualifiziert und von einer störrischen Wut besessen, sich permanent in Sachen Politik und Arbeit fortzubilden. Karl Wagner hat freilich den Nachteil, dass es ihn von 1909 bis 1983 wirklich gab. Und so hat Hilde Wagner mit „Der Kapo der Kretiner“ über ihren Ehemann Karl vorsätzlich spröde und zurückhaltend geschrieben. Und so reckt sich keine markige Arbeiterfaust, um die Internationale zu singen und das Buch ist ruhig und behutsam und von einer anrührenden Zärtlichkeit gegenüber dem Verstorbenen.

Wagners Sozialpartner zieht inmitten der Krise einen durchaus lukrativen Auftrag ans Land; behauptet aber, dieser sei nur durch Lohnkürzung auszuführen. Wagner, gewerkschaftlich organisiert, überführt seinen Chef der Lüge und unterrichtet seine Kollegen. Diese beugen sich dem Unternehmerdiktat; es sei immer noch besser als vor dem Arbeitsamt herumzulungern. Allein Wagner wahrt aufgrund seiner Fachkenntnisse das ohnehin spärliche Einkommen. Man solle sich nicht um die Angelegenheiten fremder Leute kümmern, auf deren Hilfe könne man nicht bauen, und überhaupt sei er, Wagner sowieso Kommunist, sagt ihm der Arbeitgeber in einem Gespräch. Und so wird der aus einem sozialdemokratischen Elternhause stammende und in Feuerbach bei Stuttgart wohnende Wagner neugierig, informiert sich und wird Mitglied in der KPD.

Jung und neu in einer organisierten Gruppe zu sein, da liegt die Gefahr nahe, zu einem frisch bekehrten Eiferer zu werden. Wagner schützt sich davor durch strenge Unterscheidung zwischen dem sozialdemokratischen Apparat mit seinem Köhlerglauben an die Gesetze und der Basis. Die Erfahrung, dass es der Partei nützt, wenn die Partei mal nicht im Vordergrund steht, wird sich später in der Zusammenarbeit mit polnischen und österreichischen Katholiken bewähren.

Die Nationalsozialisten erhalten den Auftrag zu einer stabilen Regierungsbildung und Karl Wagner wird sofort verhaftet und gefoltert. Und dann wird die Sprache zu einem Gitter der Gedanken und man sagt erschütternde Leidensstationen. Kurzfristig lebt Wagner als freier Mann und die „Rote Hilfe“ schickt ihn zur logistischen und theoretischen Schulung in die Schweiz. Und dann wieder Konzentrationslager. Und in einem davon ordnet Benz, ein ehemaliger Lehrer an der Marxistischen Arbeiterschule, die Mühsale der Gegenwart in die Geschichte ein. Kühne und verwegene Gedanken seien zuerst unterdrückt worden. Als Beispiel nennt er die Theorien der Naturwissenschaftler Johannes Kepler und Giordano Bruno. Jetzt nicht kapiert zu werden, gibt die Hoffnung, nachher wenigstens gelobt zu werden.

Wagner war der Mann mit vielen Eigenschaften zum Nutzen seiner Mithäftlinge. Eine geschmeidige Taktik. Stets innerhalb der Hierarchie des Lagers aufsteigen und nie kollaborieren. Im Lexikon unter contradictio in adjectivo nachschlagen und danach Beispiele für Wagner finden. Wagner gaukelte zäh und bedächtig, war von blitzschneller Schwerfälligkeit. Innerhalb von Sekunden schlagfertig eine Antwort finden, um das Leben des zum Vogelfreien erklärten Kowalski zu retten und vorausschauend inmitten des Stacheldrahtes sich von zwei Architekten zum unentbehrlichen Saboteur ausbilden lassen. Oder beim Bau des Bunkers für Himmlers Frau mehr Sorgfalt auf das Vorschwindeln von Arbeit als auf die Arbeit selbst zu verwenden. Oder Wagner verhindert die Fertigstellung des Krematoriums in Dachau. War da sein Leidensgenosse Kurt Schumacher, den seine Mithäftlinge aufgrund einer Kriegsverletzung besonders unterstützen, nicht etwas stur und ungeschickt?

Wagners federnde Elastizität härtet sich so gleich zum Stahl, wenn es um die Solidarität geht. Im Aussenlager Allach von Dachau lässt der Josef Jarolin einen Bürger der Sowjetunion auf den „gefürchteten Bock“ fesseln. Und „Jarolin gab mir den Befehl: ,Schlagen!‘

Ich antwortete: ,Ich schlage nicht!‘
Jarolin: ,Warum schlägt Du nicht?‘
Meine Antwort: ,Ich kann nicht schlagen!‘
Nun probierte es Jarolin mit dem Zuckerbrot: ,Versuchs‘, befahl er.
Meine erneute Antwort: ,Ich schlage nicht.‘

Jetzt spielte Jarolin den wilden Mann, zog die Pistole und brüllte: ,Du Kommunistenschwein, das hatte ich doch gewußt!‘ In diesem Moment rechnete ich damit, abgeknallt zu werden. Ich riß meine Lagerältestenbinde vom Arm und warf sie auf den Bock. Jarolin aber drückte nicht ab, er gab lediglich den Befehl, mich abzuführen.“ Wagner wird später wegen seiner Weigerung halb tot geprügelt werden.

Die „Frontbegradigung“, d.h. die Siege der Alliierten führen zu Fraktionskämpfen innerhalb der SS. Statt willkürlichem Terror soll Vernichtung durch Arbeit das Los der Häftlinge sein. Aus Objekten, die der Allmacht der SS unterstehen, werden jetzt sich selbst reparierende Industriemaschinen der Flicks und Krupps

Himmler will die Politischen still und leise liquidieren lassen. Das wagt er in Dachau nicht, dazu sind die illegalen Kräfte schon zu stark, das würde die Stilllegung der Rüstungsbetriebe bedeuten. Wagner wird nach Buchenwald verschleppt. Dort konnte am 21. April 1945 das internationale antifaschistische Lagerkomitee erklären: „Die zerschlagenen Armeen der Nazis sind ostwärts des Ettersberges zurückgeflutet. …Unsere militärische Macht sichert das Lager“. Die Karlsruher DKP ehrt Karl Wagner ausführlich auf ihrer Internetseite.

Hilde Wagner, Der Kapo der Kretiner
Pahl-Rugenstein, Bonn 2009, Bibliothek des Widerstandes, 18,90 Euro, ISBN: 978 3 89144 407 8