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Unsere Herrenreiter
November 2011

Volker Weiß untersucht in „Deutschlands Neue Rechte“, warum Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ so erfolgreich war.

Buchbesprechung von Stefan Gleser

Weiß schaut sich erstmal Sarrazins Vorgänger an. Diese gehörten in der Weimarer Republik zum Zirkel der „Konservativen Revolution“. Deren Ideen sind längst Totholz und vermodern bei der Rechtspostille „Junge Freiheit“. Ab und zu finden sie noch Erwähnung, wenn es um den
zeitweiligen Konflikt der Brüder Heinrich und Thomas Mann geht. Letzterer stellte „Kultur, Seele, Freiheit und Kunst“ gegen „Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur“.


„Revolutionär“ sind bei den Konservativen die Mittel, um vor 1789 zurückzukehren. Deutschland, die europäische Mitte, gehe einen Sonderweg. Es lehne den Westen, den Liberalismus und den Osten, den Bolschewismus ab. Die Leute sind je nach Lust und Laune mal „Masse“ und
„sozialer Ballast“ oder ins mythisch Wabernde erhobenes Volk. Der Stil dieser Revolutionäre zeichnet sich durch eine aufdringliche Bildung und den mit Ausnahme von Ortega y Gasset völligen Mangel an Selbstironie aus.


Weiss stellt nun Parallelen zwischen dem Sozialdemokraten Sarrazin und den erbitterten Gegnern der Weimarer Demokratie fest.


Die „Konservative Revolution“ erlebt die Welt als permanente Bedrohung. Zwischen den Weltkriegen erwuchs die Gefahr aus dem Proletariat der Großstädte, den Juden und Polen. Bei Sarrazin sind es „Transferempfänger“ und Zuwanderer aus islamischen Ländern. Mit Edgar
Julius Jung („Die Herrschaft der Minderwertigen“) teilt Sarrazin den Glauben an Zahlen. Beiden ist die Skepsis gegenüber Statistiken, wonach
sie der Superlativ von gemeinen Lügen seien, fremd. Die Tabelle verleiht dem Stammtisch, dem höchstdumpfsten Ressentiment, dem elitären
Herrengehabe dem Nimbus der strahlenden Sachlichkeit. Bei Sarrazin ist alles „unbestreitbar“. Bei „Nietzsches klugem Affen“ wie Thomas Mann
Oswald Spengler nannte, geht das Abendland flöten, während Sarrazin sich vorläufig mit der Abschaffung Deutschlands begnügt. Bei Jung und
Spengler, die Mussolini anhimmelten, zeichnet sich eine Verbindung ab, die Weiß noch genauer herausarbeiten wird: Mob und Elite sind gleicher
Maßen autoritätssüchtig und schreien nach einem Führer. In der veredelten Ausgabe wird der Demokratie Handlungsschwäche vorgeworfen,
„Vermassung“ droht, der „Caesarismus“ wird propagiert und nach dem „Tatmensch“ gesucht. Sollte man einige Etagen tiefer sein, wird nach dem
starken Mann gerufen. Es muss ein auch dem Pöbel verständliches Symbol der Verachtung
vorgeführt werden. Bei Treitschke war es der Hosen verkaufende jüdische Jüngling aus dem Osten, während Sarrazin, eingedenk der Geschichte, sich lieber auf Kopftuchmädchen spezialisiert.

Weiss bestimmt „Elite“ nicht. Es sind eine Schicht darunter zu verstehen, die sich eher auf ererbtes denn geleistetes stützt. Durch den Kniff sich auf „Autoren der zwanziger Jahre“ zu beziehen, kommt die „Neue Rechte“ „`platt gesagt um Auschwitz herum`“

Nach der Befreiung kritisierte die Rechte erstmals den Staat, statt ihn zu vergötzen. Er war ja demokratisch geworden. Friedrich Sieburg von der „Frankfurter Allgemeinen“ und der Arnold Gehlen hielten Restbestände der „Konservativen Revolution“ am Leben. Der erste Versuch,
rechtskonservativen Ideen eine fest gefügten Ort zu geben, war das von Hans Filbinger gegründete Studienzentrum Weikersheim.

Unter den Intellektuellen der „Neuen Rechten“ führt Weiss den Regisseur Hans-Jürgen Syberberg und den Schriftsteller Botho Strauß auf. Syberberg
ist verkürzt gesagt der Meinung, erst das allgemeine Wahlrecht habe den Nationalsozialismus ermöglicht. Allein die autoritäre, straffe Ständegesellschaft könne niedrigste Instinkte bändigen. Dies widerlegt
Volker Weiss: „Nicht die Demokratisierung der Gesellschaften ist demnach die Quelle des Faschismus, sondern vielmehr der Drang der Eliten, unter den Bedingungen der Moderne die Masse zum Objekt der Herrschaft zu machen.“ Über Botho Strauß hat sich Gott sei Dank Christian Schultz-Gerstein im „Spiegel“ schon vor über einem Vierteljahrhundert ausführlich geäussert. So wird unsere Zeit als eine in Erinnerung bleiben, die das pompöse Geschwätz eines Zettelkastens für Dichtung hielt.


Wenn unsere leistungsorientierte Elite nicht gerade Doktorarbeiten oder Banken gegen die Wand fährt, ist sie als Tabubrecher und Opfer tätig.
Der „Staatenlenker“ (Sarrazin über Sarrazin) fühlt sich als Opfer der Zensur, der Inquisition und eines Schauprozesses. Das reichte Henryk M.
Broder nicht. Im Samisdat-Organ „Bild-Zeitung“ erblickte Broder in Sarrazin das Opfer des ersten Hexenprozesses in Deutschland seit Jahrhunderten. Daran gemessen war Sarrazin putzmunter als er sich öffentlichkeitswirksam in die Regionen minderer Gene begab. Dazu Weiss:
„Die schärfsten Verkünder des angeblichen Kulturverfalls tragen ihr Lamento meist selbst äußerst massenkompatibel vor und suchen dabei nicht selten den Beifall des Mobs.“ Es ist die Wiederholung des von Hannah Arendt beobachteten Bündnisses von Mob und Elite, diesmal als „Schmierenkomödie“.


Lieblingsfeind der Neuen Rechten ist „Political Correctness“ (PC) und „Gutmensch“. Dieser ist ein von Klaus Bittermann und Gerhard Henschel
erfundener Spott für den schon sprichwörtlichen grünen Sozialpädagogen, der ständig mit Betroffenheit, Wut und Trauer spazieren ging und nur unter argen Gewissensqualen für Hartz-IV und Serbienkrieg stimmte. Die Neue Rechte versteht darunter sozialromantische Träumer, die den linken
Mainstream beherrschen und bei der Verteidigung des christlich-abendländischen Kulturkreises nur im Weg stehen.


„Sarrazins Methode ist publizistisch so erfolgreich, da sie – wie stets bei guter Propaganda – für jeden ein Angebot enthält“


Uns übergewichtigen Hartz-IV-Empfänger, die er verachtet, tröstet Sarrazin: wenigstens von den Genen her seien wir auf der sicheren Seite.
Den Rechtspopulisten kommt er mit seiner Abneigung gegenüber dem Islam entgegen. Den protestantischen Mittelstand umgarnt er mit seinem
Leistungsethos und der NPD gefällt es, dass er die „Logik der Nutztierzucht“ auf den Menschen überträgt.

Weiss spürt gesellschaftliche Zusammenhänge früh. Seine Vermutung „sozialdarwinistische Ausfälle“ und Verkaufsstrategien schüfen zwischen Elite und Strassengang, schlechtem Rappgesang und aufgeplustertem Deutsch eine Verbindung erwies sich als wahr: Der Rapper Bushido ist durchaus und zu recht der Meinung, dass Sarrazin sein Bruder im Geist sei.

Punkte wird die Neue Rechte machen, wenn ihre Vertreter ursprünglich aus der Mitte kommen, wenn sie sich nicht zurückträumt, wie etwa Erika
Steinbach mit ihrer Bemerkung, Polen habe zuerst mobilisiert, sondern wenn sie den Alltag bildlich besetzt wie etwa die Moschee um die Ecke,
und vielen, sei es Strassennazi oder Edelkonservativen ein Häppchen anbietet

Weiss erkundet die Seelenlandschaft des scheinbar unsterblichen Herrenreiters. Der Dünkel giert nach dem Applaus des Pöbels und die
selbstgefällige Märtyrerpose tritt nassforsch und schneidig auf.

Volker Weiß
Deutschlands Neue Rechte
Angriff der Eliten - Von Spengler bis Sarrazin
141 Seiten, Schöningh Verlag, Paderborn 2011
Preis: 16,90 Euro
ISBN: 978-3-506-77111-7

 

Juli 2011 Ronny Blaschke beschreibt in seinem Buch „Angriff von Rechtsaußen“ wie Nazis den Fussball infiltrieren

Verlag: Die Werkstatt

Buchbesprechung von Stefan Gleser

Vor dem Fußballspiel Österreich – Deutschland randalierten Rotten von Hooligans in Wien und zeigten den Hitlergruss. Die Öffentlichkeit reagierte in vorgestanzten Mustern. Wohlfeile Empörung, Distanzierung und möglichst schnell vergessen. Als sei Rechtsradikalismus im Fussball eine „lose Folge“ von Erscheinungen, die aus dem Nichts auftauchen und spurlos wieder verschwinden. Dabei setzen fern der grossen Stadien die Rechten zum Überfall auf die Amateurvereine an. Ronny Blaschke, vielfach ausgezeichneter Sportjournalist, sammelte dafür in seinem Buch „Angriff von Rechtsaußen“ zahlreiche Belege. Die Methoden der Nazis sind vielfältig: Mit der Zaunlatte gegen Zuschauer, Ehrenamt, Vereinsgründung, Netzwerke im Internet. Deshalb die Vielfalt der Wiedergabe: 24 Kapitel, die unabhängig von einander gelesen werden können, die Reportage und das Interview, der bekannte Profi und der unauffällige Schiedsrichter.

Wenn´s darum geht den Alltag zu erobern, sich in die Falten der Gesellschaft zu schmiegen, dann wird Fussball nicht nur wegen seiner Popularität gebraucht. Die bei Mannschaftssportarten übliche Hierarchie und ein starres Regelwerk mit Befehl, Gehorsam und Bestrafung, so der Soziologe Gerd Dembowski, seien für den autoritären Charakter attraktiv. Nach Ansicht des Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer, sind Augenblicke in denen Fussball weltoffen und tolerant leuchtet, nur ein kurzer Rausch. Frankreich ist, nachdem eine kunterbunte Truppe 1998 den Weltmeistertitel holte, nicht liberaler und menschenfreundlicher geworden. Und in Deutschland habe der lockere und entspannte Partypatriotismus bei der WM 2006 den Fremdenhass genährt.

In Leipzig sah sich Blaschke die Praktiken der Rechten genauer an. Erfolgreichster Verein vor Ort ist die Lokomotive. In den achtziger Jahren stand sie im Finale des Europacups der Pokalsieger. Dem Verfall der DDR folgte der Absturz des Vereins. Die Lok ging Pleite, wurde neu gegründet und startete in der untersten Liga. Man war auf jedes Mitglied, jeden Cent angewiesen und nicht wählerisch. Darin erkannten die Nazis ihre Chance. Die Fangruppe „Blue Carps“ wurde zur rechten Kerntruppe umgeschmiedet und in der NPD-Zentrale gedrillt. Anhänger von Chemie Leipzig und des antirassistischen Roter Stern Leipzig brutal überfallen. Ein Kandidat der Rechten warb bei der Kommunalwahl mit seinem Engagement für die Lok. Dazu eine Fan- und Jugendarbeit von der akzeptierenden Art, die Rosen auf den Weg streut. Die Lok distanziert sich von den Nazis und spricht Hausverbote aus. Dabei nutzen die Rechtextremisten, wie ein Anhänger des Chemie Leipzig beobachtet, längst neue Formen der Verständigung: „Die Fanszene wird subtil unterwandert, die Rekrutierung erfolgt informell über Social Communities im Internet. Die Bewegung hat dazugelernt. Sie hat sich in Zonen breitgemacht, die der Verein und die Polizei kaum kontrollieren können.“

Während der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien lud der DFB extra den Altnazi Hans-Ulrich Rudel ein. Der ehemalige Präsident Gerhart Mayer-Vorfelder sülzte deutschnational. Unter Theo Zwanziger, mit dem sich Blaschke lange unterhielt, vollzog der Fussballbund eine überraschende, tiefgreifende, dem Zeitgeist widersprechende Wandlung. Zwanzigers Mutter war eine Gegnerin des Naziregimes. Ihrem Mann, der an der Front stand, schrieb sie lange Briefe. Sie versuchte ihm, so weit es die Vorsicht gegenüber der Zensur zu liess, den NS-Staat als etwas Schändliches zu erklären, ihm zu erläutern, dass er nicht für eine gerechte Sache kämpfe. Inmitten eines strammkonservativen Umfeldes, die rheinland-pfälzische Provinz, Juristerei, DFB-Funktionäre, die Stahlhelm-Fraktion innerhalb der CDU, bewahrte sich Zwanziger einen Grundgedanken seiner Erziehung, das sich solch ein Krieg, wie der vergangene, nicht wiederholen darf. Es muss ein langwieriger Prozess gewesen sein, den DFB von der Selbstverständlichkeit zu überzeugen, dass Fussballer zuweilen auch Juden, Sinti oder Ausländer sind oder Männer lieben. Heute ist der DFB bei der Internetseite „Netz gegen Nazis“ dabei und schreibt einen Preis zur Erinnerung an Julius Hirsch, einen von den Nazis ermordeten Nationalspieler aus.

Im Gewand des korrekten Ehrenamtlichen, der seinen freien Sonntag opfert und sich auch für Spiele der C-Klasse nicht zu fein ist, betritt der Lüdenscheider Schiedsrichter Stephan Haase den Rasen. Nur schade, dass er Mitglied der NPD ist und jahrelang der inzwischen verbotenen „Nationalistischen Front“ angehörte. Über Haase wurden nie Klagen laut, dass er ausländische Spieler benachteilige. Seine Taktik, wenn Haase so unparteiisch pfeift, dann kann die NPD nicht so schlimm sein, wie es in der Zeitung steht, ist also bislang aufgegangen. Andere engagieren sich aus Spass am Sport, bei Haase ist der Wunsch spürbar, für zwei Stunden dem Paria-Status zu entkommen und sich respektiert in der Mitte der Gesellschaft zu finden.

Satt, zufrieden und fachwerkgeschmückt liegt Hildburghausen in den Hügeln des Thüringer Waldes. Moscheen, viele Ausländer oder hohe Arbeitslosigkeit findet man hier nicht. Es braucht keinen Vorwand um Nazi sein, man ist es aus Überzeugung wie Tommy Frenck. Im Gespräch mit Ronny Blaschke definiert er sich wie viele seinesgleichen sofort als Opfer. In der Schule gab man ihm nämlich keine Nazibücher. Zwar hängen an jedem Kiosk „Landserheftchen“ und „Nationalzeitung“ aus, trotzdem schildert Frenck seine Suche nach Literatur, die Krieg und Faschismus verherrlicht, wie ein Dissident der sich konspirativ Samisdatschriften beschafft. Bundesweit Furore machte Frenck als er in die Freiwillige Feuerwehr seines Heimatortes Schleusingen eintreten wollte, und diese mit einer kollektiven Rücktrittsdrohung antwortete. Danach wurde das verträumte Örtchen Schleusingen zur „Frontstadt“ erklärt.

Frenck zog weiter nach Hildburghausen. Dort entfaltete sich eine fieberhafte rechte Aktivität: Vorträge, beschmierte Stolpersteine, die an ermordete jüdische Bürger Hildburghausens erinnern, zerschlagene Fensterscheiben des Büros der Linkspartei, Überfälle auf Punks, eine freie Kameradschaft, Konzerte, Infostände, ein rechtes Klamottengeschäft, NS-Parolen hingemalt und die Gründung des Sportvereins „Germania Hildburghausen. Irgendwann schaffte Frenck nicht mehr den Spagat zwischen „bürgernaher und sozialer“ Schminke und den jungen, auf Randale erpichten Neonazis vom Bolzplatz. Es kam zum Zerwürfnis mit der NPD, die den „sächsischen Weg“ bevorzugte, also dem netten Nazi von nebenan, der auch mal bei den Hausaufgaben hilft, weil angeblich zu viele Kopftuchmädchen in der Klasse sind. Bei den Kommunalwahlen drapierte sich Frenck noch einmal modisch schick haidermässig und errang mit seinem „Bündnis Zukunft“ einen Sitz im Kreistag.

Woher rührt Frencks forsches Selbstbewusstsein, dass er den Bürgermeister seines Wohnortes ohne weiteres mit „Dein Haus wird brennen“ bedroht? Der ist immerhin gross und kräftig gebaut, ein gestandener Rettungsschwimmer und zumindest als Vorsitzender des Traditionsvereins FSG über die Parteien hinweg beliebt. Und Honoratioren zu achten, lernt man in der Provinz von klein auf. Frenck kann sich einer abwiegelnden Neutralität sicher sein, die seine Handlungen relativiert und mildert. Die Polizei interpretiert gewalttätige Angriffe der Nazis häufig als Rangeleien unter Jugendlichen und Eltern sehen im Abgleiten ihrer Kinder in die rechte Szene eine altersgemässe Opposition. . Frenck ist gewiss keiner, der mit atemloser Neugier am Schreibtisch sitzt und sich Notizen zu Gramsci macht. Aber in seinen besten Momenten rät ihm ein schlechter Geist, ihn anzuwenden.

Was sind das für Zeiten, wo man sich mit Fussballfreunden türkischer Muttersprache oder jüdischer Religion nicht über Doppelpass und Kopfball unterhält, sondern über körperliche Angriffe, Hassgesängen auf den Rängen und Polizeischutz. Blaschke war bei Türkyemspor Berlin und Maccabi Frankfurt zu Gast. Oben stehen Zwanziger und Nationalspieler mit fremden Vorfahren als Vorbilder für eine humane Gesellschaft; sollte man ein paar Etagen tiefer sein, in den Amateurligen, sind Antisemitismus und Rassismus so sicher wie die Blutgrätsche.

Wenn es die Schule nicht schafft, Jugendliche über den Nationalsozialismus und dessen Verbrechen zu unterrichten, dann muss der Fussball als Mittler einspringen. Dies ist ein Motiv der „forschenden Fans“. Auf eigne Kosten durchforsten sie Archive, reisen und befragen die letzten Zeitzeugen. Markwart Herzog erkundete die Geschichte des 1. FC Kaiserslautern. Das grosse Interesse am Idol Fritz Walter ermöglichte es ihm, der Öffentlichkeit einen mutigen Mann vorzustellen: Den ehemaligen Präsidenten Ludwig Müller, der unterm Faschismus den Kontakt zu seinen Sportkameraden jüdischer Abkunft aufrecht erhielt und sein Verhalten vor Gericht verteidigte.

Schlecht ausgebildet und noch schlechter bezahlt steht der Wachmann vor dem Supermarkt. Als Ausgleich trägt er Uniform und jagt Betrunkene, denen Geld fehlt, um im Restaurant auf Spesen zu saufen, davon. Dass der Beruf Ausflüge in solch soldatisches Befehlen gestattet, zieht Rechte zu den privaten Sicherheitsdiensten. Viele Vereine wissen gar nicht, wen sie sich da auf den Rasen holen. Blaschke erzählt davon, wie langsam das Gewaltmonopol des Staates auf den Sportplätzen und in den Innenstädten zerbröckelt und macht so anschaulich dass Fussball nur ein Beispiel unter vielen ist, wie die Rechte klammheimlich das politische Vorfeld besetzt. Der populäre Fussball dient als Beispiel wie etwas weitgehend unbeachtetes geschieht. Das langsame Abdriften der Alltagskultur nach rechts. Darum schaute sich Blaschke auch Comics und Kleidermarken an und war auf Rechtsrockkonzerten unterwegs.

Aktuell bevorzugt die Rechte, was dem Fussball ja angemessen ist, die Graswurzelarbeit statt den inszenierten Medienskandal. In Kaiserslautern agierte sie, wie Blaschke es zuvor anderorts beobachtet hatte. Zum Länderspiel Deutschland – Kasachstan auf dem „Betze“ wollte die NPD mit Bundesvorsitzenden und ihrem Spruch „Weiss ist mehr als eine Trikotfarbe“ aufmarschieren. Es wurde ihr verboten. Beim Heimspiel gegen den als links geltenden FC St. Pauli demonstrierte sie ungehindert. Als keine Kamera zu befürchten war, lud der ASV Kaiserslautern die Rechtsrocker der „Kategorie C“ auf´s Gelände ein. Musik und Fussball lockten schwankende, anpolitisierte Jugendliche. Die erste Begegnung mit einem Nazi fand in einer angenehmen Festivalstimmung mit Bier und Bands, noch dazu mit dem abenteuerlichen Hauch des Verpönten, der Gratisrebellion statt. Für diese Art der Verführung gab sich der ASV her. Genau wie Blaschke schreibt: „Rechtsextremismus findet meist im Verborgenen statt, das macht ihn für den Fußball so gefährlich. Deswegen muss man immer wieder darüber berichten.”

Ronny Blaschke, Angriff von Rechtsaußen, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011, 224 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-3-89533-771-0

19.1.2012 - Antifaschismus für jeden Tag
Der traditionsreiche antifaschistische Kalender geht in eine neue Runde - Von Stefan Gleser

“Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“, schreibt Bertolt Brecht im Galileo Galilei. Darum sind die Nazis auf Helden- und Totenverehrung so versessen. Es ist die Beweihräucherung des Krieges fern des Giftgases, fern der Krüppel und die rührselige Selbstdarstellung als Opfer. „Trauermärsche“ zelebrieren Selbstvergewisserung und überprüfen die eigne Stärke. Die pathetische Aufmachung und ihr heroischer Kult lassen eh schon arg zweifelhaftes wie Ruhm, Ehre, Treue zu genuinen Eigenschaften des Deutschtums werden. Der Feind arbeitete hingegen mit Hinterlist, Tücke und Verrat. Nur deshalb siegten die Alliierten und übten Rache in Nürnberg. So sei die Bundesrepublik nicht legitim und eine Marionette der „Siegermächte“. Solche Ansichten sind nur beschränkt vermittlungsfähig. Um mehr Zuspruch finden, müssen die Faschisten auf deutsche Kriegsgefangene und die Angriffe der Alliierten hinweisen.

Einen grossen Sprung von den Aufmärschen in Dresden oder Wunsiedel macht der Antifaschistische Kalender 2012 mit einer Reportage über das westafrikanische Land Mali. Soll die Weltbank so viel Statistiken schreiben wie sie will, sie reichen nicht aus, um das dortige Elend zu schildern. Unterernährung und mangelnde Hygiene machen aus jedem Tag einen Kampf um´s Dasein. Bei der Zusammenkunft von europäischen und einheimischen Aktivsten der Gruppe „Afrique-Europe-Interact“ gab´s Streit um Schaumstoffmatratzen und Moskitonetze. Die soziale Situation zwingt die malische Linke zu einem pragmatischen, alltagsorientierten Kurs. Die Not schreit nach sofortiger Linderung und so muss politisches Handeln unbedingt auf kleine, sofort Erfolge zeitigende Schritte setzen. Theorie ist Luxus für die, die wissen, dass sie auch die nächsten Monate was zu essen haben.

Mali ist ein Labor für gesellschaftliche Experimente. Lange bevor bei uns alles der Barbarei der Ökonomie unterworfen wurde, privatisierte man in Mali die einzige Eisenbahnlinie zum Meer. Bahnhöfe wurden stillgelegt und der Personenverkehr ausgedünnt ohne Rücksicht auf die Bewohner entlang der Strecke.

Die Solidarität der Völker ist nicht nur eine Sache des proletarischen Internationalismus. Auch religiöse und sozialrevolutionäre Motive inspirieren „Afrique-Europe-Interact“. Die Europäer lernen, was auf sie zu kommen wird, wenn sie sich mit den afrikanischen Arbeitern und Bauern nicht zusammen tun: Ausplünderung der öffentlichen Güter und Dienstleistungen zugunsten eines kurzfristigen privaten Profits und Flüchtlingsströme in Länder, die noch als wohlhabend angesehen werden. Die deutsche Busfahrerin in der Schweiz, der deutsche Arzt in Norwegen sind die ersten Vorboten.

Wer jung ist und was mit Politik machen will, ohne zu den Karrierezombies von Jusos oder Junggrünen zu gehen, für den hat der Kalender eine ganze Reihe von Ratschlägen. Die eigenen Erwartungen nicht ins Unerreichbare schrauben, Kontakte erst mal in der näheren Umgebung suchen und schon erprobte Strukturen wie Schülervertretungen nutzen. Die Beobachtung der Verfasser betreffen die gesamte Linke unabhängig vom Alter und Erfahrung: „Viele Interessierte erleben die `Antifa` oder `die linke Szene` als sehr abgeschlossen, eingeschworen und uninteressiert an anderen Leuten.“ Das liegt nicht nur an der Furcht vor möglichen Spitzeln. Manche Linke bevorzugen nämlich einen verquasten Seminarstil mit aufdringlicher Bildung. Dieser dient der Selbsterkennung innerhalb einer Gruppe und verleiht einem das erhebende Gefühl zu einer unverstandenen, aber auserwählten Schar zu gehören, die auf Boulevardblattleser und Privatfernsehgucker hinabblickt.
Unter der Oberfläche des Textes pocht ständig die Bitte Artur Schopenhauers: „Den deutschen Schriftstellern würde durchgängig die Einsicht zustatten kommen, daß man zwar wo möglich denken soll wie ein großer Geist, hingegen dieselbe Sprache reden wie jeder andere. Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge: aber sie machen es umgekehrt.“ Die im Kalender klar und nüchtern vorgetragene Kritik an Sprache, Aussendarstellung und Einfühlungsvermögen gegenüber vorsichtig Aufgeschlossenen ist sehr wichtig und erklärt manche Niederlagen der Linken.

Im Besprechungsteil wird Jakob Arjounis „Cherryman jagt Mister White“ vorgestellt. Der Rezensent bezeichnet den Schluss des Romans, das grosse Kettensägemassaker, zu recht als „echt der Hammer“. Heute nachdem wir über die Morde des „NSU“ Bescheid wissen, erscheint die kühne dichterische Vision Arjounis plötzlich als untertrieben und bescheiden.

Der Serviceteil umfasst ein breitgefächertes Adressenverzeichnis, Tricks um Daten zu schützen, Rechtstipp und Informationen über Sexismus und Traumata im Umfeld politischer Tätigkeit.

Wie üblich im hosentaschenkompatiblem Format und in demonstrationserprobter robuster Ausführung.
Also dem Buchhändler Ihres Vertrauens noch die letzten Exemplare abschwätzen!!

Kalendergruppe (Hg.)
Antifaschistischer Taschenkalender 2012, Unrast Münster 2011, 256 Seiten, 7.00 Euro
ISBN: 978-3-89771-712-1

15.12.2011
Raus aus dem Mief und ab nach Indien!

Oss Kröher erinnert sich in „Auf irren Pfaden durch die Hungerzeiten“ wie ihn die Musik überleben liess

Buchvorstellung von Stefan Gleser


Oss Kröher, Sänger und Mitbegründer des legendären Chansonfestivals auf der Burg Waldeck, steht diesmal nicht auf der Bühne, sondern schreibt auf, war er zwischen 1945 – 1951 so alles erlebt hat. Kröher erzählt,
wie er seinen Kopf von der Infektion durch „rassistische Kleinbürger“ säuberte. Dabei war er auf sich allein gestellt. Kein humanistisches Gymnasium, kein Bildungsbürger erzählte ihm was von Bertolt Brecht. Kröhers Universität war das Radio. AFN und Radio Budapest schufen eine
neue Welt. Unbekannte, wunderbare Klänge strömten aus Frankreich und Russland, den USA und Brasilien in die Ruinen von Pirmasens. Die Nachkommen der Sklaven und Leibeigenen schenkten dem, der Herrenmensch werden sollte, täglich neue Lieder. Die Stimme des Sängers Ernst Busch überfiel ihn wie ein Naturereignis. Buschs Sinn für Schönheit befreite das Volkslied aus dem „Gemütskitsch“ und wurde zur Basis für Kröhers eigner Ästhetik . Kröher beschönigt nichts aus der Rückblende. Die Befreiung empfand er zunächst nicht als Befreiung. Die Familie ist ausgebombt. Dem Vater, nachdem sie ihn aus den Trümmern halbtot herausgezogen hatten, fehlt der
„Schneid“. Der Vater war jahrzehntelang leitender Angestellter in einer Schuhfabrik. Die DM kommt und der Vater wird als zu alt empfunden. Die Währungsreform schüttete Industrielle und Grundbesitzer mit Geld zu und raubte der Witwe das Sparbuch. Auf einen Schlag standen die gehorteten Waren in den Schaufenstern.


Nach dem Abitur schuftete Kröher im Wald, was überraschenderweise seiner Liebe zur Natur keinerlei Abbruch tat. Für´s Studium fehlte das Geld.
Ein Fabrikant wurde auf Kröhers hervorragende Englischkenntnisse aufmerksam und Kröher machte eine Ausbildung zum Kaufmann. Ausser „Menschenkenntnis und Ausbeutung“ lernte er wenig. Was blieb ist der
Hinweis eines Berufsschullehrers auf Jack London.


Um der täglichen Tretmühle zu entkommen, bastelt Kröher sich eine Gegenwelt aus Natur und Musik. Mit der bündischen Jugend, die im Gegensatz zu den Pfadfindern keine militärischen Ränge kennt, unternahm er Fahrten. Wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht taucht sein
ehemaliger Mitschüler Gustav Pfirrmann auf und schlägt eine Reise in den Orient, ins ferne Indien vor. Sofort nach der Prüfung wird gestartet. Als Kapital haben sie Pfirrmanns Zauberkunststücke und Kröhers Stimme und Guitarre dabei.


Im Rückblick ist Kröher ein wenig überrascht davon, wie die
Gesellschaft, dem, der nie mit ihr versöhnt war, ein ruhiges Dasein gewährt.


Kröhers Prosa vereint die trübe Tristesse der Arbeitsfron mit dem Rausch der kühlsten und mathematischsten Kunst, der Musik. Bei Kröher lernt man, dass man sich nicht vertrösten lassen soll. Nichts von morgen erwarten und jetzt her mit dem schönen Leben. Denn „das Glück ist irdisch“.


Oskar Kröher
Auf irren Pfaden durch die Hungerzeiten
Gollenstein, Merzig, 2011
288 Seiten, gebunden, 19,90 Euro
ISBN: 978-3-938823-96-5