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Rede von Joachim Brenner zur Eröffnung der Ausstellung Frankfurt-Auschwitz am 15.4.2013, Uni-Frankfurt, Campus Bockenheim, Studierendenhaus

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Joachim Brenner, ich bin der Geschäftsleiter des Förderverein Roma. Er ist Träger der Ausstellung Frankfurt-Auschwitz und existiert seit 20 Jahren. Ein Teil der Arbeit nimmt die Betreuung von Roma und Sinti, die in den NS-Lager waren sowie deren Angehörigen und die Entschädigungsanträge für Überlebende, von denen es nur noch wenige gibt, ein.

Die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz widmet sich insbesondere der Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte Frankfurts, d. h. der Verwobenheit der Stadt mit der speziellen Verfolgung von Roma und Sinti und der Vorreiterrolle, die Frankfurt am Main im Nationalsozialismus einnahm. Bereits in den 20iger Jahren wurde durch Wilhelm Leuschner, dem damaligen hessischen Innenminister und späteren Widerstandkämpfer, das „Gesetz zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“, das den Nazis als Vorlage für ihre rassistische Gesetzgebung gegenüber Roma und Sinti diente, auf den Weg gebracht. Es sah Einschränkungen der Gewerbefreiheit, das Verbot, in „Horden“ (ab zwei Personen) zu reisen, die Erfassung von Fingerabdrücken und deren zentrale Speicherung im Münchener „Nachrichtendienst“ vor. Leuschner beschwerte sich, dass die Stadtverwaltung Frankfurt die im Lager Friedberger Landstraße internierten Roma auch dort meldete und so die Voraussetzung für einen Wandergewerbeschein erbrachte. Er empfahl den hessischen Behörden, Personen mit Adresse Lager Friedberger Landstraße auszuweisen. Auch in der Fritzlarer Straße war bereits zu Beginn der 30er Jahre ein Lager für Sinti und Roma.
Oberbürgermeister Krebs, vertrieb bereits kurz nach der Machtübernahme der Nazis Roma- und Sinti-Familien aus Frankfurt und kooperierte eng mit Polizeipräsident Beckerle. Beckerle ließ 1937 das Lager Dieselstraße, später auch das Lager Kruppstraße errichten und betrieb mit Hochdruck die systematisch Erfassung und Zentralisierung der Daten und die Internierung, die dann später in die Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager führte.

Im Wissenschaftsbetrieb der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität etablierte sich 1935 Otmar von Verschuer als Leiter des Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene. Sein Assistent Gerhard Stein begann im selben Jahr mit rassenbiologischen Untersuchungen an Roma und Sinti in Ffm. und Berlin. Auch Josef Mengele studierte in den 30er Jahren an der Frankfurter Universität und promovierte bei Verschuer. Die Kooperation von Administration, Kirche, Politik, Wissenschaft, Polizei und Bevölkerung bei der Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti in der NS-Zeit ist trotz der Führungsposition, die Frankfurt am Main mit Berlin und München inne hatte, exemplarisch zu sehen und hat sich ähnlich in vielen andern Städten abgespielt.

Zehn Jahre dauerte das Engagement für die Anbringung der Mahn- und Gedenktafel am ehemaligen Stadtgesundheitsamt Frankfurt am Main, wo die beiden maßgeblichen NS-Rasseforscher Robert Ritter und Eva Justin, die durch ihre rassenbiologischen Untersuchungen die Voraussetzung für den Mord an über 20.000 Roma und Sinti schufen, nach 1945 beschäftigt waren.
Nur wegen des erheblichen öffentlichen Drucks der Roma-Union, des Förderverein Roma, verschiedener Unterstützer sowie durch die Intervention der jüdischen Gemeinde wurde schließlich die aus privaten Spendenmittel finanzierte Tafel am 27.1.2000 am Eingangsbereich des früheren Stadtgesundheitsamtes und der heutigen Geschäftsstelle des Börsenvereins des deutschen Buchhandels in der Braubachstraße befestigt.

Aktuell wird in diffamierender Art und Weise über Roma-Flüchtlinge berichtet. Falsche Zahlen und das stets aktivierbare Vorurteil gegenüber Roma bilden die Blaupause für die Stimmungsmache. Der banale Alltag schafft die Grundlage, beispielsweise durch Hetzartikel über „Zigeuner“, die einbrechen, lügen und betrügen. Die öffentliche Denunziation von Sinti und Roma, in der Gesprächsrunde „Menschen bei Maischberger“ im November letzten Jahres exemplarisch nach zu vollziehen, die umfängliche Herabwürdigung von asylsuchenden Roma aus Serbien und Mazedonien, bleibt konsequenzlos. Antisemitismus und Rassismus sind erneut in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen. Die Mehrheit der Bevölkerung, der Presse und der Politiker fühlt sich berufen, von „Sozialschmarotzern“ zu reden. Diejenigen, die jetzt Klage führen und EU-Gelder für die Kommunen fordern, haben in der Vergangenheit verlangt, diese Unterstützung für die Armutsbekämpfung in Osteuropa zu verringern. Sie basteln an der Aussetzung des Kindergeldes und der Abschaffung der Freizügigkeit für Roma.

Beunruhigend und alarmierend zugleich bezüglich der derzeitigen sozialen Lage von Roma-Flüchtlingen aus Osteuropa sind auch die Zahlen der angedrohten oder vollzogenen Inobhutnahmen von Roma-Kindern aus verarmten Migrantenfamilien, die mangelnden Unterbringungsmöglichkeiten, insbesondere bei ernsthaften Erkrankungen – voriges Jahr starb eine schwer kranke alte Frau auf der Hauptwache in ihrem Rollstuhl - und die nunmehr seit Jahren stattfindende Aussonderung von schwachen Schülern in Sonderschulen, statt sie adäquat im Regelschulsystem, so wie in der UN-Konvention für die Rechte von Kindern formuliert, zu fördern.

Zur Verantwortung gehört ebenfalls die Betrachtung der besonderen Lage von Roma-Flüchtlingen, der am aktuellen Beispiel Kosovo keine Rechnung getragen wird. Menschen werden trotz Perspektivlosigkeit und Gefahr an Leib und Leben, wie der Tod einer Frau im Frühjahr 2011 gezeigt hat, ausgewiesen. Selbst die grüne Vorsitzende des Petitionsausschusses in Baden-Württemberg unterstützte die Rückführung ins Kosovo. Auch die Abschiebungen aus Frankreich und Italien, d. h. von EU-Bürgern, die sich legal aufhielten und von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machten, belegen die Diskriminierung von Roma.

Die Situation in Osteuropa wird für Roma zunehmend gefährlicher. Ungarische Juden, die in Parlament und Regierung sind, sollen sich nach Meinung der rechtsradikalen Partei Jobbik registrieren lassen, weil sie angeblich eine Gefahr für das Land darstellen. Die Auftragsmorde an Roma, denen neun Personen zum Opfer fielen, die Ausgrenzung und die Zuschreibung als Sündenbock für politische und ökonomische Fehlentwicklungen in den Ländern Osteuropas dokumentieren individuelle und gesellschaftliche Gewalt. Roma und Sinti in Deutschland betrachten mit großer Sorge die durch Neonazis verübten Morde und die Verschleierung durch die zuständigen Behörden. Die jahrelange Ermittlung in die falsche Richtung ging auch zu Lasten von Roma und Sinti, die verdächtigt wurden.

Vor dem beschriebenen Hintergrund ist u. a. die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz entstanden. Die Bereitstellung von Bildern der Familien Winter, Rose, Strauss und Böttcher und die Arbeit des Saarbrücker Künstlers Bernd Rausch, der versucht, Verfolgung, Vernichtung und Verantwortung durch beeindruckende Werke künstlerisch darzustellen, ermöglichten dies. Wir werden nach dem Vortrag von Frau Rose und Frau Strauss Gelegenheit haben, die dokumentarisch künstlerische Ausstellung im 1. Stock dieses Hauses zu sehen. Am 13.5., um 19.00 Uhr, Kommunikationszentrum im Studierendenhaus, wird Dr. Peter Sandner, Historiker und Buchautor, über die Funktion der Uni-Frankfurt und die Verfolgung von Roma und Sinti in der NS-Zeit berichten.

Bevor nun Frau Rose und Frau Strauss das Wort haben möchte ich noch auf die Ausstellung „Menschenbilder“ der Stiftung Gegen das Vergessen für Demokratie, in der Paulskirche hinweisen. Sie zeigt Werke von Otto Pankok, der vor allem das Leben von Sinti-Familien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellt.