Ausgang


Bildmontage,
Bilder vom 24.10.2010
B. Rausch

Eröffnungsansprache zur Ausstellung
Frankfurt – Auschwitz
Förderverein Roma – Initiative 9. November, Hochbunker Friedberger Anlage, Frankfurt am Main, 24.10.2010,

Von Dr. Kurt Grünberg

Die juristische Schuldfrage an der industriellen Vernichtung von Juden, Roma und Sinti im Nationalsozialismus wurde erstmals 20 Jahre nach der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz von der
Roten Armee im Frankfurter Auschwitz-Prozess öffentlich thematisiert.
Die von dem Saarbrücker Künstler Bernd Rausch erstellte dokumentarisch-künstlerische Ausstellung Frankfurt-Auschwitz, die der
Förderverein Roma heute zusammen mit der Initiative 9. November eröffnet, thematisiert die bürokratische Erfassung, Verfolgung und
nationalsozialistische Vernichtung von Roma und Sinti, deren Wirkungsgeschichte auch nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ sowie
die besondere Rolle der Stadt Frankfurt. So haben etwa die NS-Rasseforscher Eva Justin, neben Robert Ritter für die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti mit verantwortlich, ihre „Karriere“ auch nach 1945 im hiesigen Gesundheitsamt fortsetzen können.
Wenn in den Medien noch heute immer wieder von einer vermeintlichen „Roma-Frage“ die Rede ist, so erinnert dies an das infame Gerede von der „Juden-Frage“. Mit solchen Formulierungen werden die tatsächlichen Verhältnisse verschleiert. Die tatsächlichen Verhältnisse bestehen zum einen darin, dass die meisten Menschen weder mit jüdischer Kultur, noch mit der Kultur und den Lebensverhältnissen von Roma und Sinti in Europa vertraut sind (je weniger Wissen, umso virulenter die Vorurteile). Zum anderen aber – und dies scheint mir noch bedeutsamer – werden die Klischees und Vorurteile der Mehrheitsbevölkerung nicht als deren Unterstellungen und Projektionen erkannt, die von den eigenen Wünschen, Sehnsüchten, Konflikten und Ängsten ablenken sollen.
So wird also genau wie der Antisemitismus den Juden, der Antiziganismus den Roma angelastet. Tatsächlich aber sind Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus das Problem der Mehrheitsbevölkerung. Roma und Sinti wie
Juden werden zu Sündenböcken gemacht, um sich nicht mit den wirklichen gesellschaftlichen Konflikten befassen zu müssen. Die Ethnisierung von Armut und Kriminalität zeugt von einer
antiziganistischen Denkweise. Stimmungen, die auf diese Art und Weise hervorgebracht werden, bringen – leider – Wählerstimmen.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch einen Gedanken. Die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, gerade in ihrem Amt als
Präsidentin des Bundes der Vertriebenen bestätigt, ist heute nicht anwesend. Die Abschiebungen Tausender von Roma aus Frankreich nach Rumänien oder Bulgarien scheinen sie nicht zu beunruhigen. Das gleiche
gilt für Abschiebungen aus Deutschland in den Kosovo. Dies alles ist kein Zufall, sondern ein weiterer Beleg dafür, dass dem BdV weder an der Aufarbeitung der deutschen wie der eigenen Verbandsgeschichte gelegen ist noch daran, heutige Vertreibungen, die gegen EU-Recht
verstoßen, als Unrecht zu brandmarken.
Ich empfinde Scham über das leider so weit verbreitete Schweigen über das Roma und Sinti heute zugefügte Leid.
Umso bedeutsamer scheint mir die heutige Eröffnung dieser Ausstellung. Bitte verstehen Sie dies auch als Zeichen der Verbundenheit und
Solidarität.


Vom
24.10.2010 bis zum 14.11.2010 findet die dokumentarisch – künstlerische Ausstellung zur Vernichtung der Roma u. Sinti (Frankfurt - Auschwitz) im Hochbunker Friedberger Anlage 5-6 in Frankfurt statt. Die Ausstellung ist an 4 Sonntagen (24.10, 31.10., 7.11.,1

4.11.) von 11 Uhr bis 14 Uhr geöffnet.

24.10.2010 - 14. Uhr - Eröffnungsveranstaltung mit Joachim Brenner (dokumentarischer Teil der Ausstellung), Bernd Rausch (künstlerischer Teil der Ausstellung).

31.10.2010 - 14. Uhr - Gespräch mit Frau Rose uns Frau Strauss (Angehörige, Roma-Familien)

7.11.3010 - 14. Uhr - Ute Daub hält einen Vortrag zu Eva Justin

Kontakt: Förderverein Roma e. V., Stoltzestraße 17, 60311 Ffm, 069/440123 AB - Foerderverein.Roma@t-online.de, www.foerdervereinroma.de

Bernd Rausch: rausch.b@web.de

Rede zur Eröffnung der Ausstellung Frankfurt-Auschwitz am 24.10.2010,
14.00 Uhr, Hochbunker Friedberger Anlage, 5-6, 60314 Ffm., ehemalige
Synagoge der israelitischen Religionsgemeinde

Von Joachim Brenner

Über das gesellschaftliche Klima und die aktuelle Situation ist bereits gesprochen worden, dennoch sei der Hinweis auf die Vertreibung von Roma
aus Osteuropa, die, entgegen offizieller Verlautbarungen, nicht nur in Frankreich, sondern auch hier stattfindet, obwohl die betroffenen
EU-Bürger lediglich - und völlig legitim - ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen, an dieser Stelle vermerkt. Ich rede von der Räumung eines
Platzes in Frankfurt am Main, auf dem etwa 50 Personen, darunter Alte, Kleinkinder, Frauen, Kranke lebten, im Oktober 2009 durch den
Ordnungsdezernenten Stein. Damit es auch besonders gründlich war, wurde zwei Mal hintereinander geräumt. Ähnliche Situationen gab es in Köln und Berlin.

Der Förderverein Roma e. V. ist Träger der Ausstellung Frankfurt-Auschwitz. Der Verein existiert seit 20 Jahren. Zurzeit sind 35
MitarbeiterInnen, davon ein Drittel mit romanes als Muttersprache, in der Sozialberatung, dem Bereich Bürger- und Menschenrechte, der Kita
Schaworalle, die auch Ort der Regelbeschulung ist, dem Jugend- undErwachsenenbildungsprojekt, dem Projekt Begleitung, Übersetzung und
Vermittlung, der Jugendhilfe und der Öffentlichkeits- und Informationsarbeit tätig. Ein wesentlicher Teil der Beratung nimmt die
Betreuung von Roma und Sinti, die in den NS-Lager waren und die Entschädigungsanträge für Überlebende, von denen es nur noch wenige gibt,
ein.

Die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz widmet sich insbesondere der Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte Frankfurts, d. h. der Verwobenheit der Stadt mit der speziellen Verfolgung von Roma und Sinti und ihrer Vorreiterrolle. Bereits in den 20iger Jahren wurde durch Wilhelm Leuschner, dem damaligen hessischen Innenminister, das „Gesetz zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“, das später den Nazis als Vorlage für ihre rassistische Gesetzgebung gegenüber Roma und Sinti diente, auf den Weg gebracht. Es sah Einschränkungen der Gewerbefreiheit, das Verbot, in „Horden“ (ab zwei Personen) zu reisen, die Erfassung von Fingerabdrücken und deren zentrale Speicherung im Münchener „Nachrichtendienst“ vor.
Leuschner beschwerte sich, dass die Stadtverwaltung Frankfurt die im Lager
Friedberger Landstraße internierten Roma auch dort meldete und so die Voraussetzung für einen Wandergewerbeschein erbrachte. Er empfahl den
hessischen Behörden, Personen mit Adresse Lager Friedberger Landstraße auszuweisen.
Oberbürgermeister Krebs, vertrieb bereits kurz nach der Machtübernahme der Nazis Roma- und Sinti-Familien aus Frankfurt und kooperierte eng mit Polizeipräsident Beckerle. Beckerle ließ 1937 das Lager Dieselstraße, später auch das Lager Kruppstraße errichten und betrieb mit Hochdruck die systematisch Erfassung und Zentralisierung der Daten und die Internierung, die dann später in die Deportation in die Konzentrations- und
Vernichtungslager führte. Im universitären Wissenschaftsbetrieb etablierte sich 1935 Ottmar von Verschuer als Leiter des Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene. Gerhard Stein, der Assistent von Verschuer, begann im selben Jahr mit rassenbiologischen Untersuchungen an Roma und Sinti in Ffm. und Berlin. Auch Josef Mengele studierte in den 30iger Jahren an der Frankfurter Universität.

Zehn Jahre dauerte das Engagement für die Anbringung der Mahn- und Gedenktafel am ehemaligen Stadtgesundheitsamt Frankfurt am Main, wo die beiden maßgeblichen NS-Rasseforscher Robert Ritter und Eva Justin, die
durch ihre rassenbiologischen Untersuchungen die Voraussetzung für den Mord an über 20.000 Roma und Sinti schufen, nach 1945 beschäftigt waren.
Die Gründe der Gegner der Mahntafel waren ebenso ignorant wie bezeichnend: die Fakten würden nicht stimmen, durch die Anbringung entstünde eine Gedenkstätte für Neonazis, die Tafel setze die NS- und Nachkriegszeit gleich, berücksichtige nicht die Persönlichkeitsrechte der Täter bzw. deren Nachkommen und es gäbe schon drei, also genügend Mahnmale. Die
Argumentation seitens der meisten Parteien und des Instituts für Stadtgeschichte erfolgte wider besseres Wissen, entgegen der offenen
Faktenlage und unter billigender Inkaufnahme der Beleidigung der Opfer. Nur wegen des erheblichen öffentlichen Drucks der Roma-Union sowie durch
die Intervention der jüdischen Gemeinde wurde schließlich die aus privaten Spendenmittel finanzierte Tafel am 27.1.2000 am Eingangsbereich des früheren Stadtgesundheitsamtes befestigt.

Vor dem beschriebenen Hintergrund ist die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz entstanden. Die Bereitstellung von Bildern der Familien Winter, Rose, Strauss und Böttcher und die Arbeit des Saarbrücker Künstlers Bernd Rausch, der Verfolgung, Vernichtung und Verantwortung durch beeindruckende Werke künstlerisch darstellt, ermöglichte die Ausstellung. Erster Ort der Präsentation war im August 2009 der ehemalige
Polizeigewahrsam im Klapperfeld. Es folgten 2010 Brüssel und erneut in Frankfurt am Main das DGB-Haus und der Hochbunker Friedberger Anlage, dem Ort der ehemaligen Synagoge der israelitischen Gemeinde. Weitere Lokationen für 2011 sind die Frankfurter Paulskirche (27.1.-23.2.2011), das Dokumentationszentrum Prora auf Rügen sowie der Zentralrat der deutschen Sinti und Roma in Heidelberg.

Die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz besteht aus vier Teilen: 1. Die Bilder der ermordeten Menschen und der Überlebenden mit den Lebensläufen. Die Nennung der NS-Täter, ihrer Funktionen und den Karrieren nach 1945. Die Forderung nach einer zentralen Gedenkstätte und die Geschichte der Mahntafel. Hinzu kommen drei Tafel, die die 150jährige Geschichte einer deutschen Roma-Familie in Form eines Stammbaums zeigen
sowie eine Tafel, die Aufbau und Intention der Ausstellung erklärt. Ergänzt wird der dokumen-tarische Teil durch Informationen über den Träger der Ausstellung Förderverein Roma e. V.
2. Dem künstlerischen Teil, in dem Bernd Rausch die Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti darstellt.
3. Dem filmischen Teil. Er zeigt ein Interview mit der NS-Ärztin Eva Justin, einen Beitrag über die rassenbiologische Untersuchung an Sinti-Kindern, eine Dokumentation über die Deportation der Roma und Sinti von Frankfurt nach Auschwitz sowie Filme und Fotos über die Anbringung der
Mahntafel am Frankfurter Stadtgesundheitsamt.
4. Dem informativen Teil, der Handreichungen zum Ausstellungsinhalt bereithält.

Die Präsentation im Hochbunker der Initiative 9. November, dem Ort der ehemaligen Synagoge der israelitischen Gemeinde, vom 24.10.-17.11.2010
beinhaltet folgende Begleitveranstaltungen:
Am 31.10.2010, 14.00 Uhr, findet ein Gespräch mit Frau Strauss sowie Frau Rose und am 7.11.2010, 14.00 Uhr, ein Vortrag der Soziologin Ute Daub, die ihre Recherchen zu Robert Ritter und Eva Justin vorstellt, statt.

Dank gilt der Initiative 9. November, dass sie den Hochbunker für die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz bereitstellt. Möglicherweise ist das ein
erster kleiner Schritt in Richtung Dauerausstellung – falls das Gebäude in den nächsten Jahren zu einer zentralen Gedenkstätte umgewandelt werden
sollte.


Vortrag anläßlich der dokumentarisch – künstlerische Ausstellung zur Vernichtung der Roma u. Sinti, 24.10.2010, Hochbunker Friedberger Anlage

Von Bernd Rausch

(Vorwort aus aktuellem Anlaß vom 24.10.2010)

Die Bilder der Ausstellung des künstlerischen Teils der Ausstellung entstanden 60 Jahre und mehr nach dem Menschheitsverbrechen durch Deutsche.

Die Bilder haben, so hoffe ich, viel von dem aufgenommen was in diesen Jahren über die Vernichtung der Roma und Sinti, die Auslöschung, den Holocaust gedacht und geschrieben wurde.

Die Idee zu dieser Bilder-Auseinandersetzung entstand nach vielen Diskussionen, in vielen Jahren, die ich mit meinem Freund Joachim Brenner über seine Tätigkeit geführt habe. Joachim arbeitet seit 20 Jahren im Förderverein Roma in Frankfurt. Die zentrale Frage war: Warum ist die Verantwortung für die Vernichtung der Sinti und Roma im Bewusstsein der Tätergesellschaft so gut wie nicht vorhanden? Und warum ist der Antiziganismus im Nachfolge-Staat der Massenmörder so ungebrochen?

Über allem, vor allem und allem zu Grunde liegt der Zivilisationsbruch Auschwitz. Adornos Diktum: “Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem einen gegenüber, dass Auschwitz nicht sich wiederhole.” Der Holocaust steht aller Auseinandersetzung vor.

So entgrenzt das Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus war, so entgrenzt ist die Zerstörung der Kultur. Dieser Entgrenzung stellen sich die Bilder in Inhalt und Form.

Im Zentrum der Bild-Auseinandersetzung steht die Liquidierung des sog. Zigeunerlagers in Auschwitz-Birkenau. Es sind Bilder der Vernichteten. Die Bilder haben konkrete Orte oder Elemente davon inhaltlich und formal als Bezug. Die Bilder reflektieren zudem die seit der Auslöschung vergangene Zeit.

Deutschland ist 65 Jahre nach dem Menschheitsverbrechen noch immer ein Ort wo Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus im Bewußtsein großer Teile der Bevölkerung ungebrochen wirken. Staatliche Institutionen fördern auf vielfältige Weise den Rassismus ... , aber vor allem dadurch, dass sie die Umdeutung der Geschichte fördern. Die Transformation der Deutschen von der Tätergesellschaft zu Opfern wird aktiv betrieben.Ob durch die Förderung der Vertriebenverbände und ihres revanchistischen Zentrums in Berlin oder durch den Bombenterrorkult, der in und mit Dresden betrieben wird und wo systematisch eine Relativierung des Menschheitsverbrechens versucht wird.

Oder sei es der Konflikt mit den üblen Machenschaften der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die eine formale Gleichsetzung von Verbrechen des NS-Regimes mit Taten nach 1945 propagiert, weshalb das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma jede Mitarbeit ausschließt.

Es darf keine Relativierung der Auslöschung, der Vernichtung der Roma und Sinti geben, keinen Frieden mit den Taten und den Tätern. Nichts ist in Ordnung. Ruhe, Schweigen, Vergessen darf nicht sein.

Die Bilder leisten, so hoffe ich, einen bescheidenen Beitrag dazu.