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Saarbrücker Zeitung (Veröffentlicht am 24.06.2014)
Verfolgt, vernichtet, vergessen
Von Johannes Kloth
Ausstellung in Saarbrücken arbeitet die Nazi-Verbrechen an Sinti und Roma auf

Über eine halbe Million Sinti und Roma wurden in der NS-Zeit systematisch ermordet. In Saarbrücken ist derzeit die Ausstellung „Frankfurt-Auschwitz“ zu sehen, die das Grauen künstlerisch und dokumentarisch aufarbeitet. Sie zeigt die Opfer, benennt Täter – und zeigt einen Mann aus unserer Region, der die rassehygienischen Theorien bis lange nach dem Krieg weiter propagierte.


Saarbrücken. In diesem Viereck verschwindet die Welt: Es prangt in der Mitte des mächtigen Bildes, scheint wie ein schwarzes Loch alles anzusaugen und zu verschlingen. „Das kaputte Quadrat“ hat der Saarbrücker Künstler Bernd Rausch sein Werk in Anlehnung an Kasimir Malewitschs (1879-1935) berühmtes „schwarzes Quadrat“ genannt. Malewitschs Schlüsselwerk der abstrakten Malerei wies 1915 in die Zukunft. 25 Jahre später schien die Moderne in den Konzentrationslagern der Nazis zu enden, ein Zivilisationsprozess in Vernichtung und Tod zu münden. Das „kaputte Quadrat“ ist eines der beeindruckendsten der 16 Bilder Rauschs, die derzeit als Teil der Ausstellung „Frankfurt-Auschwitz“ im Saarbrücker Rathaus zu sehen sind. Großformatige, düstere Werke sind es, in denen Fragmente von Auschwitz-Fotos zu finden sind, verfremdet, durchzogen von Splittern und Rissen. Sie alle sind der Vernichtung der Sinti und Roma gewidmet.

Initiator der Ausstellung ist Joachim Brenner, Geschäftsführer des Frankfurter Fördervereins Roma. 2009 war die Schau anlässlich des 65. Jahrestags der Liquidation des „Zigeunerlagers“ in Auschwitz, bei der in nur einer Nacht 3000 Sinti und Roma vergast wurden, erstmals zu sehen. Nach ihrer Premiere im Frankfurter Polizeigefängnis tourte sie durch verschiedene Städte und ist nun, fünf Jahre später, in Saarbrücken zu sehen. Doch noch immer gilt, was Brenner bereits 2009 zum Anlass nahm, aktiv zu werden: Es gebe ein allgemeines Desinteresse an der Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma in der NS-Zeit, sagte er. Das habe auch mit einem weit verbreiteten Antiziganismus zu tun. Dass sich daran kaum etwas geändert hat, zeigte zuletzt die mit Vorurteilen und Ressentiments gespickte Debatte um eine erwartete Einwanderungsflut rumänischer und bulgarischer Zuwanderer mit Einführung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit Anfang des Jahres.

Die Ausstellung thematisiert nun den systematischen Massenmord an über 500 000 Sinti und Roma sowohl künstlerisch als auch dokumentarisch. Der dokumentarische Teil erzählt die Geschichten der Opfer – etwa die der Familie Frolian, die in Berlin einen Pferdehandel betrieb. 1942 wurden die Familienmitglieder in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück deportiert – und dort ermordet. Die Ausstellung richtet aber auch den Blick auf die Täter – besonders auf die beiden Frankfurter NS-„Rasseforscher“ Robert Ritter und Eva Justin, deren pseudowissenschaftlichen Theorien und Experimente die Grundlage des Massenmordes bildeten. Die „Rassenhygienische Forschungsstelle“, die Ritter leitete, begutachtete insgesamt etwa 24 000 Menschen, um sie als Voll-Zigeuner, Zigeuner-Mischling, Juden-Mischling oder Nicht-Zigeuner zu klassifizieren. Diese Einstufung entschied über Deportation, Zwangssterilisation und Ermordung. Auch ein gewisser Hermann Arnold wird in der Schau benannt: ein Rassenhygieniker übelster Sorte, der Ritters Lehren nach dem Krieg weiter verbreitete, vom Bundesfamilienministerium gar zum „Sachverständigen für Zigeunerfragen“ ernannt wurde und bis zu seinem Tod 2005 nicht von seinen Ansichten abwich. Laut Ausstellungsangaben wurde Arnold 1971 von der „Universität Saarbrücken zum Außerplanmäßigen Professor für Sozialhygiene“ berufen. Ein Wirken, über das man gerne mehr erführe, das jedoch auch regionalgeschichtlich nicht weiter erforscht zu sein scheint. Vielleicht gibt die Ausstellung Anlass, die Lücke zu schließen.

Zum Thema:

Auf einen BlickZu sehen bis 11. Juli im Saarbrücker Rathaus (Hauberrisser Saal). Führungen: Do, 26. Juni, 11-13 Uhr und Fr, 11. Juli, 11-13 Uhr. Anmeldung: Anmeldung und Information unter Tel. (06 81) 9 05 12 72. Am 11. Juli, 18 Uhr, berichten die Schwestern Ursula Rose und Maria Strauss als Opferangehörige und zeigen Fotos. jkl

Die Ausstellung erzählt die Geschichte der Opfer: Die Familie Frolian wurde 1942 deportiert. Das Bild entstand am Tag der Festnahme; die Familie wusste nicht, was sie erwartet.Foto: Veranstalter Foto: Veranstalter