zurück Die Autoren der BIG TROUBLE Trilogie und ihr Rezensent Stefan Gleser - Joachim Schmitt & Bernd Rausch haben Glück, eine Rezension braucht den Müßiggang und nicht die Selbstoptimierung des Zeilenschinders.



Das Ohr ganz fest am Herz des Nauwieser Viertels in Saarbrücken

Erinnerungsleistung der anmutigen Art – Das Buch sehnt sich danach gezeichnet und verfilmt zu werden

Buchvorstellung von Stefan Gleser

Alle schreien nach Deckelschulden, sind dann aber mucksmäuschenstill: Denn hier kommt mit „Big Trouble im Nauwieserviertel“ das endgültige Grosswerk über zehenspitzblonde Schwedinnen, Petersilie, Linke, Bier, Maler, eine dem Espresso weichend müssende Thermoskanne, abgefüllte Aschenbecher, mehr Bier und chinesische Kabelträger. Hat die deutsche Linke mit all ihren Flausen, Flops und Fisimatenten wirklich ein solches Buch verdient? Dass man sich in einer solch verspielten und mitfühlenden Weise ihrer annimmt, wo doch vieles dafür spricht, sie zu verfluchen? Ja, trotz alledem haben Joachim Schmitt und Bernd Rausch gesagt und notiert, was sie in den letzten Jahrzehnten im Nauwieser Viertel in Saarbrücken gesehen und gehört haben.

Mein erster Eindruck: Zu der Zeit, als die Welt noch unberührt war von Premium, Event und Design, schien die Sonne gütiger. Mit welch ausgesuchter Höflichkeit, mit welch erlesener Noblesse werden die beiden „zerbrechlich wirkenden“ älteren Grazien vom Lande behütet, die sich in die grosse Stadt verirrt haben. „Es hat nur der gewöhnliche Stuck, der von der Decke rieselt, ihr Haar so weiß gefärbt“, beruhig der Dichter Marco H. im erwählten Tonfall die beiden Frauen. Man merkt, Eliteschnösel mit Markenklamotten wären damals als unbegreifliche Wesen „ausgelacht worden“. Big Trouble hebt Elemente der „utopischen Lebensfreude“ für uns auf.

Einst bedeckte der sanfte Honigschleim der Bohème das Nauwieser Viertel. Hier galt die rasante, ja inngeniöse (INN= Englisch= Gaststätte, danke Joyce) Nachdenklichkeit, die keinen Cent einbringt, als Basis für Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung: „Sie hatten Jobs gefunden, die ihnen viel Muße ließen, und waren mit jener munteren Geselligkeit beseelt, die andere mit einer Soße aus Frotzeleien, Sticheleien und Albernheiten übergoss.“ Es waren Gäste, die zu einem alten Schnaps oder einem neuen Wortspielen wie „Vorhaut“ statt „Vorhut“ und „Prothese“ statt „Antithese“ einfach nicht nein sagen konnten.

Romane, die gern an der Theke stehen und einen heben, lauschen mit Vorliebe den Sprachschattierungen, den durch dumpfe Wiederholung abgeschliffenen Erkenntnissen, dem erleuchteten Lallen, dem Slang und Sound des Gemurmels und sehen das Wirtshaus als Welt im kleinen an. Rausch und Schmitt sagen aber Tschüss zum klassischen Kneipenroman, spendieren Henscheid und Schulz noch ein Bier für die Anregungen und stürzen sich auf die überbordende Groteske und den tolldreisten Comic.

Das Buch sehnt sich danach gezeichnet und verfilmt zu werden: Wilde, überraschende Blickwinkel, möglichst viel Bewegung wie Fussball und Balgerei, zahlreiche Miniaturszenen, Ausflüge in die nahe Kirche und ins ferne Shanghai, die Würdigung des Malers Otto Lackemacher, das sind alles visuelle Elemente, um der Enge der Sprache zu entkommen. Es schmuggelt sich sogar ein Film ins Buch ein. Dem Regisseur Twen von Herbstlich und sein Kameramann Arturo Lui vom saarländischen Rundfunk bannen die Rauferei zwischen Bullen und Eingeborenen des Nauwieser Viertels und die Verehrungsorgie für Kamerad Tabakblatt auf Zelluloid ein.

Eine Lesung wird als Kneipenschlägerei wiedergeboren, und weil so brav geprügelt wurde, darf sie als Strassenschlacht erneut Inkarnation feiern. Eine weitere Steigerung verhindert die Oberbürgermeisterin, die als klassische Versöhnlerin wirkt und obendrein im Vorwort forsch betont: „Gerade lesen öffnet Türen…“. Also ich hab´s ausprobiert. Nach vier Stunden war ich von sozialdemokratischen Ratschlägen enttäuscht und wandte mich wieder der konventionellen Methode zu: Die Klinke niederdrücken.

Der Abschied vom herkömmlichen Kneipenroman hat allerdings nicht nur künstlerische Gründe. Es liegt versteckt in der Formulierung „örtliches Bier“. Regionales Bier, aus der nächsten Brauerei, konnte früher zu Hochform auflaufen und behaupten, es gebe kurze und berauschte, göttliche und klassenlose Momente am Tresen. Bier hat sich aber angepasst und fügt sich mit der Ware vom Discounter und der Fernsehplörre im wahrsten Sinne des Wortes in die Kastengesellschaft ein.

Die Sympathien der Verfasser gehören dem, der noch ein wenig renitent blieb, kein Adabei war und jetzt zur Strafe im Geldbeutel nachschaut, ob´s noch für einen Schoppen reicht, statt im Parlament von der Kultur der sozialökologischen Nachhaltigkeit zu blödeln.

Ganz ruhig ist es, man könnte einen Bierdeckel fallen hören, im Gasthaus Bingert. Denn ein Mitglied des alten Kollektivs wird zu Grabe getragen. Nur der Disjockey Juri, dessen Eltern zum Inventar der Schenke gehörten, und Wenke, Schwedin und Kellnerin, sind – und hier kommt „Hallo Überraschung“ ein schöner altfränkischer Ausdruck – im „Schankraum“. Juri schaut tief in den „Brunnen der Erinnerung“ und ins Bierglas. Vor leichten Anfällen in die Verklärungssucht schützt ihn Wenke, seine künftige Frau, durch Skepsis. „Du meinst“, sagte Wenke nachdenklich, „so was wie ‚Hartz IV’wäre damals nicht durchzusetzen gewesen?“ „Schon möglich“, antwortete Juri, „’Hartz IV’ klingt irgendwie bedrohlich. Es klingt wie Pershing II.“

Die Theke des Gasthauses Bingert, das überall in der Republik steht, ist der Seziertisch des deutschen Linksintellektuellen. Ob er mit der Mao-Bibel oder dem Manufacturum-Katalog rum rennt, ob er Sachwalter der Latzhose oder des Raucherschutzes in Kabul ist, er tut´s erfolglos aber mit dem gebotenen verbissenen Ernst. Und so ist „Big Trouble“ das mühelos heitere Gegenmittel, wenn unsere Helden wieder irgendwo zwischen Veganbrunch und Regierungsfähigkeit torkeln.

Joachim Schmitt und Bernd Rausch:
Big Trouble im Nauwieser Viertel
Streifzüge durch einen berühmten Stadtteil mit den Tollen und Vollen
128 Seiten, 6,90 Euro
Blattlaus Verlag, Saarbrücken, 2011
ISBN: 978-3-930-771-72-1


Als das Erzählen noch geholfen hat

Bernd Rausch und Joachim Schmitt legen das zweite Buch der "Big Trouble im Viertel" Reihe vor.

Rezension von Stefan Gleser

Zuweilen fühlen sich Menschen sauwohl. Etwa nach dem vierten Schoppen im Gasthaus Bingert zu Saarbrücken. "Zu" klingt schon behäbig-beduselter als "in". Wenn jemand "zu" schreibt, dann ist er schon "zu". Also hock dich hin und stell die Lauscher. Eine Geschichte braucht den Müßiggang und die verplemperte Zeit. Schieb die authentische Selbstoptimierung beiseite und erzähl uns aus dem Buch "Tolldreiste Geschichten aus dem Saarbrücker Chinesenviertel". Auf den Wiesen des Bliesgaus grasen die Lämmer und nippen vom Götternektar, dem schwarz gebrannten Mirabellenschnaps. Die Idylle strebt nach Vollendung. Es fehlen nur noch Schäferinnen und Schäfer. Sie schweben in einem ausrangierten Polizeibus aus dem Nauwieser Viertel herbei.

An dem Ufer eines Weihers feiern sich die schönen Künste selbst. Den Dichtern werden narzissengelbe Kränze ins Haar geflochten und die Musik spielt zum Tanz auf. Der Bliesgau ist das letzte Refugium der Kelten. Darum haben dort die Frauen das Sagen. Außer wenn sie das tun, wofür sie weltweit gerühmt werden. Dann können sie nämlich nichts sagen. Und so zieht es seit Jahrhunderten Musiker und Philosophen zu Perlen wie Bolchen und Bliesmengen.

Rausch und Schmitt verstehen die "Nauwies" als geistige Lebensform. Wie sich gegen die Zumutungen der Zeit, gegenüber dem Angriff der Phrase wenden? Vielleicht mit Hilfe eines Schönheitssinnes, der von den siebziger Jahren lernte und die verzopften Manierismen der Gegenwart ablehnt. Das Buch wehrt sich in sich selbst. Nashvilles Liebeslieder, "Der Ausflug ins Grüne" oder "Willi Bald macht Ferien und zieht um die Häuser" beziehen Front gegen die Bedrohungen, die aus "Der einzige Zeuge", "Eine Splatter- Horrorgeschichte" oder "Die Bedienung", erwachsen. Es scheint, als hätte sich über Anmut und Sprachwitz der "Nauwies" etwas Düsteres, Spinnwebenhaftes gelegt. Etwas, das man für Vergangen hielt.

In der Bundesrepublik existiert kein faschistischer Terror. Gäbe es ihn trotzdem, bestünde er aus isolierten Einzeltätern. Im Saarland sind die Brände in Völklingen und die Anschläge auf das Parteibüro der PDS und die Wehrmachtsausstellung nicht aufgeklärt. Dies bei einer Obrigkeit, die sonst genau weiß, wer einen Mercedesstern scheel ansieht.

Zu Beginn der 90er Jahre, ging es dem Roman, also dem Vornamen, nicht der Literaturgattung, nicht sonderlich gut. Studium geschmissen, allzu oft beschickert und immer die Nachtschicht als Barkeeper. Schließt also der Roman die Tür zur Gaststätte so um vier Uhr nachts hinter sich, sperrt ab, stolpert und beinahe wäre er unter einen Lastwagen geraten. Aber den kennt er doch. Das ist der mit den Zeitungen. "Ist gar nicht ihre normale Route." Auch in der Kabine des Lkws ist man irritiert. "Jetzt hat der Kerl auf der Straße gesehen, wohin wir fahren" - "Der Typ war doch sturzbesoffen."

Der Wagen bremst vor einem Jedermannshaus. Nur das Schild lässt auf ein Büro schließen. Linke Klitsche, würde der Fahrer formulieren. Ein Paket wird in den Hohlraum unter der Treppe gelegt. Sieht eigentlich aus wie ein Zeitungsstapel. Nur Drähte lugen bösartig heraus. Dass, das eigentlich nicht dahin gehört, dass das was Schlimmes bedeutet, erkennt früh morgens die Marie, der eine Werbebroschüre zufällig aus der Hand fällt, sofort. Die Polizei wird alarmiert. Ein Roboter, denn für gefährliche Arbeiten verwendet man keine Beamten, wird los geschickt und entschärft das Sprengplakat. Die Linke, so vermutet das örtliche Monopolblatt, könnte das Attentat selbst inszeniert haben, um sich als unschuldiges Opfer darzustellen.

Der Roman steht noch immer hinter Theke. Noch immer Nachtschicht. Noch immer elegant gebräunten Ebern beim Spesenverbrennen zusehen. Aber das Saufen hat er sich längst abgewöhnt. Noch ein paar Jährchen und die Lokalpresse wird ihn als Urgestein des Hotels Contrex würdigen. Roman hat Routine. Die drei Gäste da drüben haben sich eine Flasche Scotch bestellt und feiern ein Jubiläum. Roman tarnt sich dösend. Schnappt irgend etwas auf, von Ehre, Wehrmacht und nix Explosion. Plötzlich fährt sich einer der Männer an die Stirn, was auf den Roman "ganz den Eindruck eines Mannes machte, der verzweifelt versucht, sich an irgendetwas zu erinnern". Die Männer brechen das Gelage sofort ab.

Am nächsten Morgen ruft der Kollege von der Tagschicht ganz hektisch beim Roman an. Da habe sich jemand nach ihm, dem Nachtportier erkundigt. Ein Gast mit auffallenden stechenden Augen. Wie lange der Roman schon im Hotel arbeite. Den habe er nämlich schon einmal gesehen. So etwa vor zwanzig Jahren.

Der Roman kennt den Weg genau, der Roman war stocknüchtern, der Roman war gesund, der Landwehrplatz war erleuchtet. Trotzdem kam der Barkeeper unter die Räder der Saarbahn und wurde quälend lang mitgeschleift. Und Selbstmord? Roman war zwar ein Linker, aber auch ein Katholik. Suizid war für ihn Sünde. So kehrt Romans Geschichte zum Ursprung zurück. In die Erinnerung seiner Freunde brennt sich das letzte Gespräch mit ihm ein. Zur Polizei gehen, das wollte er, und es bleibt ein Wort, das er immer häufiger und immer aufgeregter, so als könne man sich daran festhalten, heraus gestammelt habe: wiedererkennen.

Abstraktion mag die Rechte nicht. Sie bevorzugt das Greifbare. Überzeugen kann nur das konkrete Beispiel. Da sitzt einer in Schaftstiefel an der Theke in irgendeiner Kneipe im Nauwieser Viertel. Fällt schon einmal durch seine Kleidung und Frisur auf. Darum das eher linkische Selbstbewusstsein. Der Glanzkopf beobachtet und beobachtet. Immer die eine orientalisch wirkende Frau, die bedient. Die Märchenprinzessin aus Tausenderlei Nacht, die zudem Bier zapfen kann. Verrutsch ihr T-Hirte, lächelt der "Schokoladeflecken" Hüftspeck. Allmählich kommt er mit ihr so ins Gespräch. Was ihm imponiert, sind ihre Sekundärtugenden. Das durchaus rationelle und selbstbewusste ihrer Arbeitsweise. Sie ernährte schon mit vierzehn eine Familie, "In dem Alter war er nur ein Strolch im Dorf, der mit den Kameraden Jagd auf Ausländer machte." Er entwickelt ein komplexes System der Rechtfertigung, um sein Verhalten vor sich zu erklären. Stammt sie aus dem Nahen Osten, so hat sein Führer mit dem Mufti von Jerusalem verhandelt. Liebkost ihr Zopf die Schulter, so ist sie würdig von den alten Meistern gemalt zu werden. Und sein Führer hatte ja durchaus künstlerische Ambitionen. Die Kameraden saufen und sie schuftet sich hoch. "Und nun bewunderte er ihre Tapferkeit." Ungewiss bleibt, ob er mit der Mary neue Kontinente entdecken oder zum grölenden Bierdunst der Herrenrasse zurückkehren wird.

Rausch und Schmitt werfen einen milden und melancholischen Glanz über das Erwiesener Viertel. Sie luden die deutsche Sprache zu einem Bummel durch die Kneipen. Mal stand sie beschwipst an der Theke, spottete und schimpfte wie ein Rohrspatz auf die Verhältnisse. Dann trank sie starken Kaffee, war aufklärerisch, voller Vernunft und ängstigte sich der kommenden Dinge. Dann war sie groß, geil und besoffen und hinter den Frauen des Ausblieb her. Aber der demilitarisierten Langeweile der Schreibschulen, der erteilte sie sofort ein Lokalverbot.

 

Die Big Trouble Bücher - http://www.ausstellung-rausch.de/Bilder/Nauwieser_Viertel/Big_Trouble/Big_Trouble.htm

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Rezension von Stefan Gleser

Die Ballade vom traurigen Tresen

Bernd Rausch und Joachim Schmitt legen mit "Die Schönheit des Viertels" den dritten Band von "Big Trouble" vor.

Zuerst verschwinden die Kneipen, in denen von der Toilette Urinwölkchen herschweben, denn so was mag der Bionaderevolutionär nicht, dann die kleinen Läden und dann die alten Leute. Die Oma passt nicht in die Maisonette-Wohnung mit der Solaranlage auf dem Dach Außerdem ist der Strom zu teuer. Da kann sie noch so lange zum Aldi laufen, um billiges Katzenfutter zu kaufen. Das Nauwieser Viertel soll ein schönes Viertel werden mit schönen Menschen, die beim Lesen der mittelständischen
Sensibilitätsschinken das Weinglas mit gespreizten Fingern halten. Ins Nauwieser Viertel ziehen immer mehr Leute ein, vor denen wir unsere Kinder gewarnt haben. Dagegen singt Nashville, der Chronist des Viertels, der als erster Komponist der Welt eine Getränkekarte vertonte, nämlich die des Gasthauses Bingert, in seinem Lied vom "Schlafstadtbürger" an:

"ihr sprecht mit zuckersüßen Zungen / wollt nur Rendite und Geschäfte machen..... Täglich singt ihr andern das Entsagungslied, den Gürtel enger schnallen"

Der dritte Band von "Big Trouble" heisst "Die Schönheit des Viertels" und ist eine wehmütige Erinnerung an die Zeit, als das Viertel sich wohlig unterm milden Gesönn
des Septembers räkelte, ohne dass jemand dazu von einem Stück mediterraner Ars Vita lallte. Denn das ist das Rotwelsch der Renovierungsabzocker und Geschmacksverbrecher.

Die Melancholie des vormittäglichen Thekenstehers und die Kittelschürze der Wirtin in der vergilbten Luft der Kneipe, die einst Frikadellen unter der Glasglocke
beherbergte, schützen die Rentner, die kinderreiche Familie, den Studenten vor Luxussanierung und Entmietung. Plappert es munter von konsumorientierter
Flaniermeile, urbanen Kommunikationszentren und Premiumwohnkultur steht die nächste Mieterhöhung bevor. Eine Gaststätte, in der man nicht mehr wagt, nach der
Ketchupflasche zu fragen, ist ein böses Omen und verkündigt Unheil und Untergang.

Draußen weit in der Türkei schlagen die Völker aufeinander. Darum kam Dicle nach Deutschland. Sie arbeitet im Gemüseladen ihres Onkels. Dicle ist so schön, dass Saarländer, die unter einem veganen Frühstück einen Schwenker verstehen, ins Geschäft kommen und sich nach den rätselhaften, geheimnisvollen Früchten des Orients
erkundigen. Dicle entfloh dem Bürgerkrieg, soll einen ungeliebten Mann heiraten und fürchtet die Blutrache. Aber wenn Dicle lächelt, sind selbst ihre Zähne weiblich und so wandelt sie den Nationalismus des Türken in Ritterlichkeit, die Gier des Händlers in ein prächtiges Hochzeitsfest und die Eifersucht des Geliebten in
Verständnis.

Was wäre uns alles erspart geblieben, hätte es kein "Wunder von Bern" gegeben. Hunderte von Aufsätzen über die Identität der jungen Bundesrepublik wären nicht
geschrieben worden und niemand wüsste, was lockerer, unverkrampfter Partypatriotismus ist. Rosa Rouge, Filz, der Ingo und die anderen Eckensteher trauern der großen Zeit des saarländischen Fußballs nach. Die kleine Saar nannte nach dem zweiten Weltkrieg eine Fussballnationalmanschaft ihr eigen und spielte um
die Qualifikation zur Fußball-WM 1954 mit Norwegen und Deutschland in einer Gruppe. Im entscheidenden Spiel gegen das "Reich" träumt sich im Nachhinein ein anderer
Geschichtsverlauf. Ein Sieg und das Saarland hätte vielleicht genügend Selbstvertrauen für einen eignen Weg besessen. Nicht eine arme und deutsche Saar, sondern eine prosperierende, europäische, weltoffene und mehrsprachige Saar hätte es werde können, wie Krethi es zutiefst bedauert. Während des zweiten Schicksalsspiels, das sich im Ludwigsparkstadion zu trug, erblickte Ingo die
Glühbirne des Kreißsaales. 1983 trat Deutschland gegen Albanien an . Jupp Derwalls Elf musste gewinnen, wollte sie an der Europameisterschaft teilnehmen. Zu jener
Zeit war die "Saarhexe" in Saarbrücken populärer als der "Spiegel" und es gab in deutschen Landen mehr kommunistische Bonsaiparteien als Kommunisten. Die KPD/ ML hatte sich Albanien als Idol und Vorbild erkoren. Im Auftrag deren Zentralkomitees begleiteten Redakteure der "Saarhexe" die albanischen Fußballer. Denen machte Gas geben ohne Führerschein in bislang unbekannten westlichen Schlitten Spaß. Eine ernste Aufgabe hatten die Journalisten. Ins Stadion sollten sie eine Sporttasche schmuggeln. Der Inhalt würde eine neue Epoche der Massenagitation einläuten. Aber das linke Auge des Verfassungsschutzes ist ein Adlerauge. Aus der Tiefes des Raumes, ach was, aus den Schluchten des Balkans stürmten Enver Hodschas Enkel. Genc Tomori schoss das erste Tor. Dafür wurde er in seiner Heimat
als "verdienter Abstauber des Volkes" und "Held der Schwalbe" geehrt. Nur ein ganz stracker Schuss rettete den Deutschen die Fahrkarte zur EM. Nur deshalb konnte Toni Schuhmacher später den Franzmänner zeigen, was eine gesunde Härte ist und Battiston Zähne ernten auf grünem Spielfeld.

Rosa Rouges Fußballgedächtnis lässt jeden Kicker-Almanach vor Scham vergilben und sich eselsohrig ins Regal verkrümeln. Nur Filzens Datenspeicher umfasst noch mehr Gigabytes. Beim Verlassen der Gaststätte genügte ein erinnerungsstarker Blick zurück, ein kurzes Klicken der Neutronen und schon ratterte Filz die Namen der Skipetarenmannen, den klassenbewussten, herunter. Allein Filz, der 2004 nach langem vergeblichem Experimentierens dem nach ihm benannten Deckel erfunden hatte und von den Patenten recht gepflegt bummeln gehen konnte, war dem Biere zugetan.
Darum schwebte die Mannschaftsaufstellung völlig losgelöst im Raum:

Aus Pflichtbewusstsein und Hochachtung gegenüber der albanischen Sprache setzte Filz vorsichtshalber noch einige rrrrrrrs hinzu. Wenn Rosa Rouge und Filz Fußballdaten herbei schleppen und im Buch Bilder zu finden sind, dann sind Thema, Materialsammlung und Montagen eine Ehrung für Ror Wolf . Aber den kennen die Redakteure des Saarländischen Rundfunks nicht, weil sie den Verstand, der ihnen fehlt, auf den Dorffesten in Bliesmengen und Bolchen, wie das Fräulein Doktor Eva Herrlich einwandfrei und ex cathedra und wodkalaunig im "Maxim" konstatierte, versoffen haben.

Die Kommissarin braust im Elektroauto durch das Nauwieser Viertel und wirft als Gartenguerillakämpferin engagiert Biobärlauchsamen in die Luft. Zwischendurch
ermittelt sie in einem Korruptionsfall. Am Schluss legt sie mit den Vorsitzenden der Stadtteilinitiative den ersten Kräutergarten im Viertel an. Im Hintergrund serviert ein klimaneutraler Absolvent einer Waldorfschule dazu Eventcapuccino. So einen Schmarren würden die Jungs vom Hallberg gern verfilmen. Aber so etwas zu
schreiben fehlen Rausch und Schmitt die eisernen Nerven. Ihr Krimi heißt "Drei Sterne für Kannibalenköche". Darin innerhalb "Vorab" . Ein Bergmann als Nemesis der
Geschundenen. Der machtgeschütze Hohn der Gutachterin ergoss sich über ihn: "Rente wollten sie und nicht mehr unter Tage fahren und nach Kohle graben. Ich erinnere
mich gut, wie ich lachte und lachte, als Sie zu mir sagten, Sie wollten leben, Sie hätten Kinder , hätten Familie." Im Dunkeln, so als könne die Gerechtigkeit am Tage
nicht mehr auftreten, denn auch im Saarland "sprudeln die Giftquellen der Entsolidarisierung" , erhöht sich das weiss bleckende Gebiss des Kumpels zur rächenden Waffe.

"Splatterdämmerung in unserem Viertel" ist die Parodiemischung aus unerträglichen Heimatkrimis mit seinen kauzigen Ermittlern und detaillierten Lokalangaben und den us-amerikanischen Fernsehserien. Kommissar Meerettich tappt im Dunkeln. "Schier hoffnungslose Fälle" harren der Aufklärung. (Wann ist Ihnen "schier" zum letzten Mal in einem Roman begegnet?. "Schier" ist liebevoll altfränkische ausgesucht. "Schier" hoffnungslose Fälle können gar nicht so schlimm sein.) Zwei betuchte Damen sind verschwunden und im Chinesenviertel, wie die Nauwies auch genannt wird, gibt es immer weniger Hunde. In seiner Not bittet Meerettich Mully und Sculder, Agenten des FBI, um Hilfe. In Saarbrücken lernen die Amis , dass Friseursalons unerschöpfliche Quellen der Erkenntnis sind. Denn wie schon Kirk the Wirt wusste:
Klatsch ist unbedingt notwendig. Und ferner sind die Agenten selbst über sich erstaunt: Würden sie die Fronten wechseln, so bliebe die Arbeit die gleiche. Mully
und Sculder liefern Meerettich nur Andeutungen zur Aufklärung. Ein "Komplott" von denen, die uns auf Wahlplakaten anlächeln und doch nur Hofsänger der noch
Mächtigeren sind, wird das Viertel zerstören.,

Rausch und Schmitts unterhalten aufs beste. Vor allen mögen sie das nicht , was bei uns so beliebt ist, das affektierte Kunstgewerbe und wabernd Weihevolle.
In einer Prosa, die sich den wechselnden Gemütslagen der Geschichten anschmiegt, entsteht ein Nauwieser Viertel , das die Möglichkeit des aufrührerischen Spotts und des gesitteten Miteinanders in sich trug, und jetzt zu einem Biotop für Schmöcke verkommt und zu Gunsten der Wenigen verramscht wird. Es liegt ein stiller Glanz von gestern, eine milde Pracht schwermütgen Abschiedszauber über diesem Buch.


Bernd Rausch und Joachim Schmitt: Die Schönheit des Viertels. Blattlaus Verlag,
Saarbrücken, 2013, 210 Seiten, 8,90 Euro.
ISBN: 978-3-930771851

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Der Saarbrücker Schelmenroman - Die Trilogie
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Ganz ungewöhnlich: Ein kritisches Buch aus dem Literaturland saar(Saarland), einem Bundesland wo Kritiker mundtot gemacht oder des Landes vertrieben werden.

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Zu den Büchern der "Big Trouble Trilogie", dem Fußballbuch "Fußball Liebe" und dem Menschheitsverbrecher Röchling "100 Jahre Röchling - Ausbeutung, Raub, Kriegsverbrechen"

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